Das dunkle Fenster (German Edition)
an den Fächern angebracht waren, dann hob er zwei Plastikboxen heraus und stellte sie auf den Boden.
„Hier“, sagte er. „Das ist alles, was ich über ihn habe.“ Rafiq bückte sich und blätterte durch die Papierstapel. „Das meiste sind Ausstellungskataloge“, erklärte Scholz. „Die Polizei hat das Zeug durchgesehen und dann zurückgegeben.“ Er sah Rafiq ein paar Minuten zu, wie er einzelne Druckschriften herausnahm und aufblätterte. „Sie können sich das gern für ein paar Tage ausleihen. Ich brauche es wahrscheinlich sowieso nie wieder.“
Rafiq blickte auf. „Wirklich?“
„Ja, nehmen Sie es mit.“ Er machte eine weit ausholende Handbewegung. „Nehmen Sie es und erwähnen Sie mich in der Danksagung zu Ihrem Buch.“
Scholz hatte Recht gehabt, was die Korrespondenz anging. Der Inhalt der Briefe war tatsächlich belanglos. Daneben gab es Kataloge zu insgesamt fünf Ausstellungen. Rafiq betrachtete die großformatig gedruckten Bilder. Die Motive wirkten surreal. Landschaften, die sich in kalligrafische Mosaike auflösten. So hatte er es in einem der Kunstmagazine gelesen. Die Bildunterschriften gaben wenig Aufschluss. Rom I bis VI. Barcelona I bis III. Dann Serien zu Brüssel, Oostende, Amsterdam. Irgendwo dazwischen eine Abfolge von Porträts, die alle die gleiche Frau zeigten. Anna, lautete die Bildunterschrift.
Der eigentümliche Malstil ließ die Grenzen zwischen Landschaft und Figur verschwimmen. Immer wieder fand sich Berlin unter den Namen. Berlin und Brüssel – die Städte schienen einen zentralen Stellenwert einzunehmen. Aber kein Wunder. Laut Dossier hatte Fedorow unter der Delani-Identität in Brüssel gelebt. Und Berlin – nun, Rafiq wusste nicht, welche Bedeutung Berlin für ihn hatte, aber Fedorow musste sich häufig in der Stadt aufgehalten haben.
Doch was sagte das aus? Was sagten diese Bilder über den Menschen Fedorow und die Art, wie er dachte? Und vor allem – welche Rückschlüsse ließen sich daraus ziehen?
Als Rafiq zurücktrat und die Papierstapel betrachtete, kratzte Frustration in seiner Kehle. Er ahnte plötzlich, dass das alles zu keinem Ziel führte. Dass er verbissen nach einer Spur suchte, die es einfach nicht gab.
VI Katharsis
66 Berlin | Deutschland
Dreizehn Stunden, nachdem das Überwachungsteam in Prag das Gespräch zwischen Fedorow und Kusowjenko aufgezeichnet hatte, landete eine Sondermaschine auf dem Flughafen Schönefeld bei Berlin. Die sechs Passagiere verfügten über Diplomatenpässe, so dass sie ohne weitere Kontrollen das Flughafengelände verlassen durften.
Nirim Peretz, der verantwortliche Offizier des Kidon-Teams, war nicht darüber informiert, dass sich noch ein zweites Operationsteam in Berlin aufhielt, so dass er die Frau, die sie vor Ort in Empfang nahm, auch nicht nach seinen Kollegen fragte.
Peretz und seine Leute hatten die Aufgabe, drei Zielpersonen zu eliminieren. Jeder von ihnen war mit der Kopie eines Dossiers ausgestattet worden, das die Fotos und ein paar persönliche Details enthielt. Peretz stand außerdem in Verbindung mit Daniel Augmon, der mit seinem Team Viktor Kusowjenko überwachte, die erste Person auf der Liste. Sie wussten noch nicht, wann und wie sie zuschlagen würden. Sie wussten nur, dass das Zeitfenster klein war und die Operation irgendwann in den nächsten Tagen stattfinden musste.
Am frühen Abend trafen kurz hintereinander Tal Gerson und Lev Katzenbaum in der sicheren Wohnung ein. Katzenbaum hinkte stark, aber zumindest konnte er sich wieder ohne Krücken bewegen.
„Was ist das?“, fragte er, als er die Papierstöße im Wohnzimmer sah.
„Kataloge und Druckschriften zu den Delani-Ausstellungen in Berlin“, sagte Rafiq. Er bückte sich, um eines der Hefte vom Boden aufzuheben. „Heute Vormittag habe ich die Galerie besucht, in der er ausgestellt hat.“
Katzenbaum hob eine Augenbraue. „Und?“
„Keine Ahnung. Wenn ich wüsste, wonach ich eigentlich suche ...“ Rafiq blätterte durch die Seiten. „Alles was aus den Bildern hervorgeht, ist, dass er sich häufig in Brüssel und Berlin aufgehalten hat.“
„Ah“, sagte Katzenbaum nur. Er ließ sich auf einen Sessel sinken und tastete nach seinen Zigaretten.
Rafiq setzte sich auf die Armlehne des Sofas. „Die meisten Gemälde sind nach Städten benannt.“ Er reichte Katzenbaum den aufgeschlagenen Katalog. „Und wenn du genau hinschaust, siehst du auch, dass die Motive auf irgendwelche Stadtansichten zurückgehen.“ Er fuhr mit
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