Das dunkle Fenster (German Edition)
war. Sie war versucht, einfach aufs Gas zu treten. Stattdessen biss sie sich auf die Lippen und entkuppelte wieder.
Nikolaj öffnete die Tür, warf die Tüte nach hinten und stieg ein.
„Was ist los?“
Carmen starrte in den Rückspiegel, während sie den Wagen langsam aus der Parklücke steuerte. „Was soll sein?“ Es klang schärfer, als sie beabsichtigt hatte.
„Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.“ Nikolaj griff nach dem Sicherheitsgurt.
„Die Hitze macht mir zu schaffen.“ Sie hatte das Gefühl, dass ihr Gesicht purpurn glühte. Mit mehr Gewalt als nötig rammte sie den zweiten Gang ins Getriebe. Sie trat heftig aufs Gas; ruckend beschleunigte der Wagen. Und die ganze Zeit spürte sie seinen Blick auf sich ruhen.
„Was hat er gesagt?“, fragte sie, um die Spannung zu lösen.
„Er ist einverstanden.“
„Einfach so?“
„Einfach so.“
Carmen bemerkte aus dem Augenwinkel sein Lächeln. Sie umklammerte mit beiden Händen das Lenkrad, um zu verhindern, dass ihre Hände zitterten.
„Wohin?“, fragte sie, als sie an der nächsten Ampelkreuzung hielten.
„Richtung Autobahn. Dresden.“
65 Berlin | Deutschland
Der Kaffee war stark und aromatisch und wurde von Scholz’ Sekretärin in kleinen Tassen serviert. Als sie sich zurückzog, schloss sie die Tür hinter sich. Scholz schlug die Beine übereinander und rührte in seiner Tasse. Leise klirrte der Silberlöffel gegen das Porzellan.
„Ich kenne diese Geschichten nur aus zweiter Hand“, sagte Scholz. Er blickte auf, seine Augen schimmerten wässrig hinter den Brillengläsern. „Der ganze Aufruhr in den Medien. Mein Vorgänger hatte ein paar Mal die Polizei im Haus. Sie haben natürlich auch die ganzen Bilder beschlagnahmt, aber ein paar von denen waren eigentlich schon verkauft...“
„Wann haben Sie die Galerie übernommen?“, fragte Rafiq.
„Diese Sache damals hat dem Geschäft sehr geschadet“, sagte Scholz. „Neuhoff ist daran Bankrott gegangen. Am Ende musste er verkaufen. Das war im Sommer 2002. Also anderthalb Jahre nach diesem Mord.“
„Was ist damals eigentlich vorgefallen?“, fragte Rafiq. „Es scheint mehrere Versionen zu dieser Geschichte zu geben?“
„Erzählen Sie mir etwas über Ihr Buch. Was für ein Buch ist das genau?“
„Es geht um Strömungen in der modernen Malerei“, sagte Rafiq, ohne zu zögern. Er hatte den gesamten Flug über Zeit gehabt, sich eine Geschichte zurechtzulegen. „Ich porträtiere verschiedene Künstlerpersönlichkeiten. Delanis Malerei hat mich immer beeindruckt.“ Er legte eine kalkulierte Pause ein. „Auch wenn er nach ein paar Jahren wieder von der Bildfläche verschwunden ist.“
Scholz nickte, seine Augen nahmen einen undefinierbaren Ausdruck an.
„Es ist schwer, etwas über Delani als Menschen zu herauszufinden. Er scheint eine ziemlich verschlossene Persönlichkeit gewesen zu sein.“
„Ich fürchte, da kann ich Ihnen auch nicht weiterhelfen.“ Scholz wirkte, als würde er das aufrichtig bedauern. „Ich habe Delani nie kennen gelernt. Aber er hat mehrmals hier ausgestellt, das habe ich in den Unterlagen gesehen.“
„Kannte der Vorbesitzer ihn gut?“
„Oh, da bin ich überfragt.“ Scholz lächelte verlegen. „Ich kenne Herrn Neuhoff nur von ein paar Gesprächen, und da ging es um Details zur Geschäftsübernahme. Über sein Verhältnis zu Delani weiß ich leider gar nichts.“
„Wie kann man Herrn Neuhoff erreichen?“
„Ich habe gehört, dass er ins Ausland gezogen ist.“ Er nippte an seinem Kaffee. „Aber Genaueres kann ich Ihnen wirklich nicht sagen.“ Er zuckte hilflos mit den Schultern.
„Schade.“ Rafiq versuchte nicht, seine Enttäuschung zu verbergen.
Scholz nestelte an seiner Brille. „Ich hätte Ihnen gern geholfen.“ Für einen Moment schwiegen sie beide. Dann plötzlich hellte das Gesicht des Mannes sich auf. „Aber vielleicht möchten Sie sich das Archivmaterial ansehen? Die Ausstellungskataloge, und ich glaube, es gibt auch noch etwas Korrespondenz. Nichts Besonderes, soweit ich mich erinnere. Aber vielleicht können Sie etwas damit anfangen.“ Er stand auf.
„Wenn es Sie interessiert, können wir kurz hinüber zum Lager gehen.“
Rafiq schob den Stuhl zurück und erhob sich ebenfalls. Er lächelte.
„Das wäre großartig.“
Das Lager befand sich auf der anderen Seite des Hofes, ein Kellerraum hinter einer schmucklosen Stahltür. Hohe Regale säumten die Wände. Scholz studierte die Beschriftungen, die
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