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Das dunkle Fenster (German Edition)

Das dunkle Fenster (German Edition)

Titel: Das dunkle Fenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Er hatte den Katsa noch nie so aufgewühlt erlebt. Plötzlich ging es nicht mehr darum, die Hintergründe eines Attentats aufzuklären, und vielleicht den Mann zu fassen, der die Schüsse abgegeben hatte. Die Dimensionen hatten sich verschoben. Jetzt ging es um Politik. Sie hatten an einem Faden gezogen und damit ein gewaltiges Netz erschüttert. Jetzt war das Ungeheuer aufgestört, das darin hockte. Aber ging ihn das überhaupt etwas an?
    Was trieb ihn selbst? Die Sicherheit Israels? Wohl kaum. Das hatte ihn nie interessiert. Er mochte Katzenbaum, vertraute ihm, hielt ihn sogar für einen Freund. Aber Israel? Israel war nur ein Wort. Früher hatte der Judenstaat einmal für die Verkörperung des Bösen gestanden, inzwischen war er Rafiq einfach gleichgültig. Das, was er für die Israelis tat, war Geschäft. Emotionen spielten dabei keine Rolle.
    Wie kam es dann, dass diese Menschenjagd so persönlich geworden war? Was hatte ihn dahin gebracht? Rache, dachte er. Dabei lag das, wofür er sich rächen wollte, inzwischen so weit zurück, dass der Rachebegriff abstrakt geworden war. Zum ersten Mal war ihm das in Tel Aviv klar geworden, als er über den Kunstzeitschriften hockte und nach Spuren suchte, die längst vom Wind verweht waren. Als er Zypern rekapitulierte, den Kampf mit Nikolaj. Er hatte nach Leidenschaft gesucht, hatte tief in sich selbst gegraben. Aber da war nichts. Die Glut war erkaltet, und das, was er in der Asche fand, waren nur noch Erinnerungen. Abbilder, mehr nicht. Auch jetzt vermisste er die Befriedigung, die er sich so oft ausgemalt hatte. Fedorow war in seiner Gewalt, aber er fühlte sich um die Süße betrogen, die dieser Augenblick eigentlich hätte mit sich bringen sollen. Das Versprechen hatte sich als Trugbild erwiesen.
    Der zweite und wichtigere Aspekt betraf Carmen. Seit Fedorow sie in Beirut entführt hatte, verstrickte Rafiq sich zunehmend in einer Spirale aus Zorn und Schuldgefühlen. Das Gewebe war dicht und komplex und es gelang ihm nicht, sich daraus zu befreien. Im Grunde wollte er es auch gar nicht. Wenn es um Carmen ging, war nicht länger zurechnungsfähig. Das hatte er sich zu Beginn nicht klar gemacht. Inzwischen akzeptierte er es.
    In dunklen Momenten malte er sich aus, was Fedorow mit ihr angestellt haben mochte. Diese Fantasien waren hässlich und von Sprüngen durchzogen und sie dienten vor allem dazu, sich selbst zu geißeln und den Hass gegen Fedorow neu anzufachen. Dass sie an irgendeinem Punkt eine Vereinbarung mit Nikolaj geschlossen haben musste, schockierte ihn und erschütterte sein Bild. Er redete sich ein, dass sie eben einen Weg gefunden hatte, sich selbst zu retten. Carmen war kein Mensch, der einfach duldsam sein Schicksal ertrug. Es war bewundernswert, dass es ihr gelungen war, ihren Entführer zu einem Vertrauten zu machen. Aber auf einer tieferen Ebene schmeckte es wie Verrat.
    Und Katzenbaum? Lev hatte jetzt andere Sorgen. Rafiq bezweifelte, dass er an Carmens Verbleib auch nur einen Gedanken verschwendete. Das frustrierte ihn, aber er verstand auch Levs Gründe, und das machte es eigentlich noch schlimmer.
    Entnervt stand er vom Sofa auf. „Was heißt das jetzt?“, fragte er. „Was machen wir?“
    „Ich muss mit Shalev reden“, erwiderte Katzenbaum. „Und mit Grolanik, aber nicht am Telefon. Ich denke“, er erhob sich gleichfalls und verzog schmerzhaft das Gesicht, als er das verletzte Bein belastete, „ich werde ihn nachher besuchen.“
    Das Licht blendete ihn, als er erwachte.
    Seine Sicht klärte sich, der Raum um ihn nahm Konturen an. Ein leeres Zimmer, zwölf oder vierzehn Quadratmeter, ein Fenster, Parkettboden. Eine beliebige Wohnung, dachte Nikolaj, irgendwo in Berlin.
    Seine Arme schmerzten, er fühlte seine Hände nicht. Es lag an den Fesseln. Sie waren zu fest, das Blut konnte nicht zirkulieren. Aber vielleicht war das auch Absicht. Er versuchte zu rekapitulieren, wie er hierher gekommen war. Sein Blick fiel nach unten und blieb an einem breiten Verband hängen, den jemand um seinen Oberkörper gelegt hatte. Die linke Seite fühlte sich taub an. Mühsam wälzte er sich herum und richtete sich in eine halb sitzende Position auf. Als er den Kopf drehte, registrierte er den Mann, der im Türrahmen lehnte und ihn beobachtete.
    Rafiq stieß sich vom Holz ab und zog die Tür hinter sich zu. Mit einem leisen Klick rastete das Schloss ein. Erneut blieb er stehen und starrte auf Fedorow hinab. Er wartete darauf, dass sich Genugtuung einstellte.

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