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Das dunkle Fenster (German Edition)

Das dunkle Fenster (German Edition)

Titel: Das dunkle Fenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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überwältigende Dankbarkeit, als Dunkel über ihm zusammenschlug. Er ahnte, dass es etwas mit Katzenbaum zu tun hatte, mit ihrem Gespräch und mit der Tatsache, dass Weiss nicht dabei gewesen war.
    Katzenbaum besuchte ihn von nun an häufiger. Sie unterhielten sich, sprachen über viele Dinge. Katzenbaum forschte nie wieder nach der PFLP, nach Waffenlieferungen oder den Namen der Führungsriege in Damaskus. Rafiq hätte gern verstanden, was geschehen war, aber er wagte nicht, Katzenbaum danach zu fragen. Er brauchte diese Atempause, brauchte sie unbedingt. Sein Geist war zermürbt, er fühlte sich zerschlagen, litt unter Stimmungsschwankungen. Er wusste nicht, wie viel er noch aushalten konnte. Er ahnte, dass das ein vorübergehender Moment der Ruhe war, ein glückliches Innehalten. Diesen Zustand wollte er so weit wie möglich ausdehnen. Er fürchtete sich davor, in die Hölle der Verhöre zurückzukehren. Die Furcht wurde stärker, je länger die Ruhepause anhielt.
    Seine Gespräche mit Katzenbaum wurden vertraulicher. Sie entwickelten sich zu einer Art Anker, an den er sich verzweifelt klammerte. Er verstand die Motive des Israelis nicht, aber nach einiger Zeit spielte das keine Rolle mehr. Katzenbaum wurde zu seinem Freund. Es kümmerte ihn nicht, dass er auf der anderen Seite stand. In diesen Momenten, in denen sie nebeneinander auf dem Boden saßen, rauchend und mit den Pappbechern voller Kaffee, spürte er ein enges Band, das ihn mit Lev Katzenbaum verband.
    Deshalb versetzte es ihn in Unruhe, als Katzenbaum eines Tages nicht mehr auftauchte. Als nur der Wärter erschien, um die Mahlzeiten zu bringen. Rafiq fragte den Mann nach Katzenbaum, aber der Soldat zeigte keine Reaktion. Und dann passierte das, wovor Rafiq sich die ganze Zeit gefürchtet hatte. Moshe Weiss kehrte zurück.
    Und alles begann von vorn.
    „Natürlich weißt du, was sie geplant haben!“, brüllte Weiss ihn an. Rafiq hatte den alten Mann noch nie so zornig erlebt. Die Lippen des Israelis bebten; kleine Speicheltröpfchen trafen Rafiqs Gesicht. „Ich schneide dir die Haut vom Leib, du Bastard! Wir brechen dir Arme und Beine, das verspreche ich dir, wenn du nicht sofort den Mund aufmachst!“
    Rafiq war wie gelähmt vor Panik. Sie hatten ihm die Arme über Kopf an ein Leitungsrohr gefesselt, das unter der Decke verlief. Die stählernen Handschellen schnitten in seine Haut. Er starrte Moshe Weiss an, ohne zu verstehen, was hier vor sich ging. Einer der Soldaten rammte ihm den Gewehrkolben in die Nieren. Er keuchte auf vor Schmerz. Seine Knie knickten ein, die Farben vor seinen Augen verschwammen. Weiss machte einen Schritt auf ihn zu und blieb dicht vor ihm stehen.
    „Also wie sieht’s aus, Kleiner?“
    Rafiq schüttelte den Kopf. Das war ein Irrtum, ein furchtbares Missverständnis. Sie wollten Einzelheiten über ein geplantes Attentat auf den israelischen Tourismusminister von ihm wissen. Wie absurd, dass sie ausgerechnet ihn das fragten. Er wusste nichts von irgendwelchen Plänen. Woher auch? Dieses Verhör war ein totes Gleis. Es gab nichts, was er ihnen erzählen konnte. Aber sie glaubten das nicht.
    „Ich habe Ihnen alles gesagt“, stammelte er, in einem vergeblichen Versuch, Weiss doch noch zu überzeugen. „Warum sollten die mich in ihre Pläne einweihen? Die würden doch nicht mal mit mir reden. Ich bin nicht der, für den Sie mich halten.“
    Er erkannte im gleichen Moment, wie aussichtslos es war. Eine steile Falte bildete sich zwischen Weiss’ Augenbrauen.
    „Wen willst du beschützen?“, knurrte der Israeli. „Du kannst nicht mal dich selbst schützen. Oder diese deutsche Frau. Die kannst du auch nicht schützen. Du bist gar nichts.“ Verächtlich wandte er sich ab. Er nickte den beiden Soldaten zu, die ein Stück hinter ihm standen.
    Rafiq schloss die Augen. Er wusste, was jetzt kam.
    Als er das Bewusstsein wiedererlangte, fand er sich in der Betonzelle wieder, mit der vergitterten Deckenlampe. Auf den Ellenbogen stemmte er sich vom Boden hoch. Er entdeckte Blut auf dem Beton und registrierte, dass es sein eigenes war. Hektisch tastete er sein Gesicht ab. Seine Finger glitten über brennende Stellen, Platzwunden. Eine über dem rechten Auge, eine zweite über dem Jochbein auf der gleichen Seite. Sein Mundwinkel war eingerissen. Die Haut fühlte sich taub an, alles war geschwollen. Keuchend sackte er zurück auf den Boden.
    Er verspürte Übelkeit. Mit großer Willensanstrengung gelang es ihm, sich auf die Knie

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