Das dunkle Fenster (German Edition)
viele.“
„Und Carmen? Lebt sie?“
„Die Deutsche?“ Katzenbaum drückte die Zigarette auf dem Boden aus. „Ja, sie lebt. Aber es geht ihr nicht gut.“
24 Wadi Qadisha | Libanon. Gegenwart.
Nikolaj erwachte schweißgebadet. Draußen war es hell, durch den Höhleneingang fiel die Sonne und tauchte die Kaverne in schattige Dämmerung.
Er fuhr hoch und tastete nach der Waffe. Die Pistole lag neben seinem Kopf, zusammen mit der Taschenlampe. Sein Blick streifte Carmen, blieb an ihr hängen. Sie lehnte mit verdrehtem Oberkörper an der Wand, die Arme nach oben gezogen, wo er sie an den Eisenring gefesselt hatte. Ihren Kopf hatte sie nach vorn auf die Brust sinken lassen, ihr Haar verdeckte halb das Gesicht. Irgendwann in der Nacht war die Decke von ihren Schultern gerutscht.
Scham stieg in ihm hoch wie ein schnell wirkendes Gift. Er hatte kein Recht, sie so zu behandeln. Mühsam richtete er sich auf. Er fühlte sich fiebrig, seine Lippen waren trocken, die Augen brannten. Der Verband war unversehrt, doch er befürchtete, dass die Wunde infiziert war und sich zu entzünden begann. Wenigstens war der Schmerz herabgesunken zu einem dumpfen Pochen.
Nikolaj hob die Glock auf und ließ das Magazin heraus gleiten. Eine Patrone steckte noch drin, plus der in der Kammer – blieben zwei Schuss. Carmen regte sich. Das Geräusch hatte sie geweckt. Sie hob ihren Kopf und offenbarte die Kratzer und geschwollenen Blutergüsse, die ihr Gesicht entstellten. Das Gefühl der Scham in Nikolaj brannte stärker. Er wandte sich ab. Das hier würde nicht ewig andauern, versicherte er sich selbst. Er musste sich um ein paar grundsätzliche Dinge kümmern, danach würde es leichter werden. Zuerst musste er sich in einen Zustand versetzen, der es ihm erlaubte, unter Leute zu gehen. Er brauchte frische Kleidung, Medikamente, Geld. Danach ein anderes Fahrzeug. Und eine Waffe. Die hier konnte er nicht behalten. Abgesehen davon, dass er kaum noch Munition besaß, wusste er nicht, auf wen aus der Glock mit dem aufgeschraubten Schalldämpfer bereits geschossen worden war. Es war nicht ratsam, eine Kanone mit sich herumzutragen, deren Geschichte er nicht kannte.
Er stand auf und schob die Pistole hinten in seinen Hosenbund. Steifbeinig ging er nach draußen, um sich zu erleichtern. Es war noch früh am Morgen, Tau durchweichte seine Schuhe und die Hosenbeine, als er ein paar Schritte den Hügel hinab machte. Das Tal war ruhig; sie waren weit und breit die einzigen Menschen hier.
Als er in die Höhle zurückkehrte, zog Carmen sich an dem Eisenring nach oben. Er blieb stehen und sah sie an.
„Ich muss pinkeln“, stieß sie hervor. In ihrem Mundwinkel haftete noch immer getrocknetes Blut. „Außerdem spüre ich meine Hände nicht.“ Sie hustete. „Ich wusste immer, dass du ein Arschloch bist, Nik. Aber dass du ein sadistisches Arschloch bist, weiß ich erst seit gestern.“
„Tut mir leid“, sagte Nikolaj. Er brachte kaum die Stärke auf, ihrem Blick standzuhalten. Schuld brannte wie Säure in seiner Kehle. Die Ereignisse der letzten Nacht schienen weit entfernt, ein böser Traum, zu Schemen verblasst. Die Art, wie er sie behandelt hatte, kam ihm selbst plötzlich unangemessen brutal vor. Er hob das Taschenmesser auf und durchtrennte mit einem raschen Schnitt das Klebeband, dasihre Hände an der Krampe fixierte. Mit einem Schmerzenslaut ließ Carmen die Arme sinken. Nikolaj bückte sich und löste auch ihre Fußfesseln. Er legte einen Arm um ihre Hüften und half ihr auf.
„Kannst du laufen?“
Carmen antwortete nicht. Stattdessen machte sie ein paar vorsichtige Schritte in Richtung des Ausgangs.
„Es tut weh“, murmelte sie.
„Das geht vorbei.“ Er fühlte sich hilflos und flüchtete sich in kühle Sachlichkeit. „Geh voran, und tu dieses Mal bitte, was ich dir sage.“
Sie drängte sich durch das Gebüsch ins Freie. Nikolaj blieb dicht hinter ihr. Nach ein paar Metern blieb sie stehen und drehte sich um.
„Was ist?“, fuhr sie ihn an. „Willst du mir beim Pinkeln zusehen oder was?“
Er machte eine Kopfbewegung zur Seite. „Geh nicht zu weit, sonst muss ich dich zurückholen.“
Carmen maß ihn mit einem hasserfüllten Blick. Mit kleinen Schritten durchquerte sie das hohe Gras. Obwohl Nikolaj damit rechnete, dass sie einen Fluchtversuch unternehmen würde, tat sie es nicht. Sie verschwand hinter ein paar Sträuchern und tauchte Minuten später wieder auf.
„Haben wir was zu trinken?“, fragte sie.
„Eine
Weitere Kostenlose Bücher