Das dunkle Fenster (German Edition)
verprügelte. Shoufani, der Rafiq für einen guten Freund hielt, weil sie ein paar Mal zusammen in den Damaszener Clubs abgestürzt waren. Und vor allem, weil Rafiq ihm einen Käufer für acht Kilo beschlagnahmtes Koks vermittelt hatte. Shoufani war ein Arschloch, aber er war auch ein hohes Tier beim Mukhabarat, der syrischen Geheimpolizei, und damit immer gut für ein paar Insider-Tipps. Rafiq hatte sich stets bemüht, seine freundschaftliche Beziehung zu Shoufani zu pflegen.
„Ich kenne ein paar Leute in Damaskus“, erklärte Rafiq.
„Oh ja, richtig.“ Katzenbaum hob eine Augenbraue. Dann grinste er plötzlich. „Nahe liegend.“
Der Mukhabarat hatte nach wie vor seine Leute im Libanon, auch wenn der Widerstand der libanesischen Bevölkerung gegen die syrischen Besatzer in den letzten Jahren stärker geworden war. Wahrscheinlich hatten die Syrer sogar bessere Quellen als die libanesischen Behörden selbst.
„Ich brauche ein neutrales Telefon“, sagte er. „Ich will nicht, dass wegen einem zurückverfolgten Anruf meine Tarnung platzt.“
„Klar“, entgegnete Sofia.
Katzenbaum lächelte verkniffen. „Das ist gut“, murmelte er. „Wirklich. Wir benutzen die Syrer, um unserem Mann zu finden. Obwohl sie uns in Tel Aviv die Haut dafür abziehen werden.“ Er wandte sich den anderen zu. „Sami und Tal – ich schlage vor, ihr räumt eure Sachen zusammen und brecht auf nach Hawqa.“
Rafiq spürte, wie Dankbarkeit in ihm hoch wallte. Und Hoffnung. Vor allem Hoffnung.
23
Südlibanesische Sicherheitszone | Februar 1992
Seine Wahrnehmung war verschwommen, er trieb in einem See aus roten Schlieren. Er konnte keinen zusammenhängenden Gedanken fassen. Manchmal, für ein paar Sekunden, erinnerte er sich, dass sie ihn verwundet hatten. Das erklärte die Schmerzen. Er fühlte auch, dass er nicht allein war. Er hörte Schritte, er spürte eine Hand an seiner Wange, eine seltsam tröstliche Empfindung. Dann sackte er zurück in die Gleichgültigkeit.
„Rafiq“, fragte eine Stimme, „Rafiq, hörst du mich?“
Seine Lider waren wie Blei. Es kostete ihn Kraft, die Augen zu öffnen. Dabei machte es keinen Unterschied. Warum war es so dunkel? Etwas ging um ihn vor. Er nahm es wahr, ohne den Sinn zu erfassen. Schritte, Stimmen, Schreie. Ein Licht blendete ihn. Die Helligkeit schmerzte in seinen Augen. Jemand zerrte ihn hoch, er ließ es geschehen. Es spielte keine Rolle.
Als Rafiq in die bewusste Welt zurückkehrte, nahm er zuerst einen kahlen Raum um sich wahr. Er lag in einem Bett, ein dicker Verband umspannte seine Brust. Sein erster Versuch, sich aufzurichten, scheiterte. Schmerz explodierte, er sackte zurück. Er schloss die Augen und hoffte, dass jemand kommen und ihm alles erklären würde.
Die Tage verstrichen quälend langsam. Tage zwischen Schlaf und wachem Dämmern, Tage in Einsamkeit. Manchmal tauchte ein Mann auf, der ihm etwas zu essen brachte, und der die Geräte überprüfte, an die Rafiq angeschlossen war. Es gab kein Fenster und keine Uhr. Rafiq verlor jedes Zeitgefühl. Er maß den Tag nach dem Rhythmus der Mahlzeiten.
Sein Zustand besserte sich allmählich. Er konnte das Bett verlassen, stundenlang schritt er die Wände seiner kleinen Zelle ab. Schnell stellte er fest, dass die Tür verschlossen war. Er fragte sich, wo man ihn hingebracht hatte. Wer diese Leute waren. Von seinem Krankenpfleger erhielt er keine Antwort. Der Mann lächelte stets, wenn Rafiq ihn fragte, schien aber kein Wort zu verstehen. Was war mit Carmen und mit Nikolaj? Lebten sie?
Eines Tages betraten zwei fremde Männer den Raum. Sie stellten sich in akzentuiertem Englisch vor. Der ältere der beiden, ein untersetzter, grauhaariger Mann hieß Moshe Weiss. Er wirkte dominant und zugleich schwer durchschaubar. Der Name des anderen war Lev Katzenbaum. Er war deutlich jünger und machte einen sympathischen Eindruck. Weiss erklärte Rafiq, dass er sich in einem Militärhospital der israelischen Armee befand. Dass sie ihm das Leben gerettet hatten, weil er sonst in der Wüste verblutet wäre. Der Israeli machte deutlich, dass Rafiqs Leben vollkommen in ihrer Hand lag. Sie konnten entscheiden, ob er leben oder sterben würde.
Weiss war arrogant und hatte einen grausamen Zug um den Mund. Der andere, Katzenbaum, schien so etwas wie sein Assistent zu sein. Er redete kaum, aber manchmal zeigte sich der Anflug eines Lächelns in seinen Augen.
„Wir möchten eine Gegenleistung von Ihnen, Mister Abou-Khalil.“ Moshe Weiss
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