Das dunkle Fenster (German Edition)
halbe Flasche destilliertes Wasser.“
„Oh, toll. Beste Voraussetzungen für ein langes und erholsames Camping.“
Nikolaj schob sie in Richtung des Höhleneingangs. Gut, ihre Lebensgeister waren zurück. Er reichte ihr die Wasserflasche und sah zu, wie sie hastig trank.
„Hör zu“, sagte er. „Ich werde für ein paar Stunden weg sein. Ich besorge was Frisches zum Anziehen, was zu essen und Medikamente. Bis dahin“, er machte eine Kopfbewegung hinüber zu der Wand mit den Eisenkrampen, „wirst du es da noch eine Zeit aushalten müssen.“ Er bückte sich nach der Rolle mit dem Klebeband.
Ihre Augen verengten sich.
„Frag doch, was du fragen willst“, murmelte sie. Ihre Stimme klang müde. „Frag es jetzt und dann lass mich in Frieden, verdammt. Oder bring mich um, wenn es darauf hinausläuft. Das kannst du ja ziemlich gut, wie man so hört – Leute umbringen.“
Sie versetzte ihm einen Stich, diese leicht dahingesagte Bemerkung. Aber Carmen sprach ja nur die Wahrheit aus. Es ließ sich nichts ungeschehen machen. Und zu behaupten, er hätte keine Wahl gehabt, war Augenwischerei. Eine Wahl gab es immer. Es kostete eben Mut, die Konsequenzen zu tragen.
„Also gut“, sagte er. „Warum nicht.“
Sie sah ihn ausdruckslos an.
„Du musst wissen, dass ich die letzten Jahre ein sehr ruhiges Leben geführt habe“, fuhr er fort. „Aber jetzt ist jemand hinter mir her, und ich will wissen, wer es ist. Ich fahre nach Beirut und dort treffe ich ausgerechnet dich. Das ist ein ziemlicher Zufall, das wirst du zugeben müssen. Und dann stürmen diese Typen in deine Wohnung und versuchen mich umzulegen.“ Er machte eine kleine Pause. „Ich will eine Erklärung. Ich muss verstehen, wer diese Leute sind. Wer du eigentlich bist. Für wen du arbeitest.“
Carmen biss sich auf die Unterlippe. Dann schüttelte sie den Kopf.
„Keine Ahnung, wer die Killer gestern Abend waren. Wie dir vielleicht aufgefallen ist, waren die auch mir nicht besonders wohl gesonnen.“
„Ach ja“, fügte er hinzu, fast wie eine Belanglosigkeit, obwohl es das nicht war. „Dann wäre da auch noch Rafiq, aus dem Grabe auferstanden.“
Der auf ihn geschossen hatte, ergänzte er in Gedanken.
Etwas Undefinierbares flackerte über Carmens Gesicht. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Sie schloss ihn wieder, ohne ein Wort über die Lippen gebracht zu haben. Nikolaj wartete. Er beobachtete ihre Hände, die Finger, die sie nicht ruhig halten konnte.
„Wenn es nach dir gegangen wäre“, sagte sie endlich, „wäre er seit langer Zeit tot.“
„Wenn es nach mir gegangen wäre.“ Seine Stimme versagte. „Als wenn ich eine Wahl gehabt hätte.“ Er schluckte, seine Kehle fühlte sich rau an. „Es ist damals nicht so gelaufen, wie wir uns das gedacht haben.“
„Sieht so aus“, erwiderte sie in gehässigem Tonfall. „Aber letzten Endes“, ein kurzes Auflachen, „ist ja alles zu einem guten Ende gekommen, oder?“ Sie zuckte mit den Schultern, die Geste wirkte seltsam unbeholfen. Wie bei einem Kind. „Wir sind am Leben, wir gehen unseren Weg. Und manchmal sterben dabei Leute. Passiert eben. Jeder ist sich selbst der Nächste.“
„Du weißt nicht, wie es war“, murmelte er.
„Ich weiß nicht, wie es war?“, fragte sie schrill. „Ich hab’s mir wahrscheinlich nur eingebildet! Sie haben uns aus diesem Felsloch gezerrt, weißt du? Nachdem du ihnen unsere Namen verkauft hast und die Wegbeschreibung. Aber das war vielleicht auch gut so, sonst wäre Rafiq dort drinnen verblutet. Sie haben ihn wenigstens zusammengeflickt. Nik, ich kann dir versichern, dass es die Hölle war!“ Sie schrie beinahe. „Ist dir klar, was sie mit ihren weiblichen Gefangenen anstellen? Sie haben nicht so viele davon, weißt du? Es ist die Sensation. Als Frau stehst du im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit.“
Er konnte es nicht ertragen. Gequält schloss er die Augen.
„Verstehst du überhaupt, was du uns angetan hast?“ Ihr Gesicht war verzerrt, ihre Augen weit aufgerissen. „Und wofür? Für welchen Preis? Wie viel genau hast du bekommen?“
„Was?“
„Den Preis“, wiederholte sie. „Wie viel? Genug, um ein neues Leben anzufangen, irgendwo in Europa?“
Er schüttelte den Kopf, presste seine Finger gegen die Schläfen. Das stimmte nicht, das war anders gelaufen.
„Was haben sie dir denn erzählt?“
Sie schwieg. Nikolaj packte sie bei den Schultern.
„Ich will das nicht weiter vertiefen“, murmelte sie. „Ich will nicht
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