Das dunkle Fenster (German Edition)
Stühle, nachdem Delacroix verschwunden war. Sie zerrte am durchweichten Stoff ihres Hedschab.
„Ich weiß, du hast keine Lust, das zu diskutieren. Ist ja auch okay. Ich wollte nur anmerken, dass dieses Ding hier mit Salzwasser getränkt ist und ungefähr zehn Kilo wiegt. Und dass ich mir wahrscheinlich den Tod holen werde, wenn ich es anbehalte.“
Nikolaj betrachtete sie regungslos, ihre Silhouette unter dem unförmigen schwarzen Stoff. Was konnte schon passieren? Ob nun mit oder ohne Schleier, Delacroix und seine Männer würden sich so oder so ihre Gedanken machen. Was änderte es, wenn sie das Gesicht der Frau sehen konnten? Machte es einen Unterschied? Wenn sie in Zypern an Land gingen, würde Nikolaj dem Franzosen das restliche Geld aushändigen und ihn hoffentlich nie wieder sehen. Tatsächlich hatte er die Absicht, schnellstmöglich nach Griechenland überzusetzen, mit einem der regulären Fährdienste.
„Bitte“, fügte Carmen hinzu.
Geiseln waren wirklich nicht sein Geschäft. Er konnte einen Menschen erschießen, aber jemanden einfach nur festzuhalten, darin war er erbärmlich.
„Gut.“ Er konnte selbst kaum glauben, dass er das sagte. „Zieh das verdammte Ding aus. Aber du kennst die Regeln.“
„Ja“, erwiderte sie.
Ihre Stimme klang so erleichtert, dass Nikolaj sich sofort schuldig fühlte. Schweigend beobachtete er, wie sie die durchnässten Lagen schwarzen Stoffes über ihren Kopf zog. Ihn erfasste eine seltsame Erleichterung, als er plötzlich ihr Gesicht wieder sehen konnte. Die Spuren der letzten Tage waren noch da, die Schrammen und Blutergüsse. Vor allem aber die Mimik, die ihren Worten erst Bedeutung verlieh. Carmen schob den Stoffhaufen mit einem Fuß beiseite. Sie lächelte gezwungen.
„Danke“, sagte sie.
Ein Ruck ging durch das Schiff. Zitternd sprangen die Maschinen an.
38 Zypern | Südküste
Rafiq starrte die Digitaluhr im Cockpit des Wagens an, während sie der Küstenstraße folgten. Katzenbaum saß am Steuer. Er telefonierte ununterbrochen. Null Uhr zwanzig. Einundzwanzig. Zweiundzwanzig.
Entnervt wandte Rafiq den Blick ab. Vor zwei Stunden waren sie auf dem Flughafen in Larnaca gelandet. Doch heute Nacht würden sie nichts weiter als Beobachter sein. Alles war organisiert; sie operierten wieder mit offizieller Deckung. Tel Aviv hatte ein gut ausgerüstetes Team geschickt. Männer, die für diese Art von Operation ausgebildet waren.
Katzenbaum legte das Telefon ab und nestelte mit der freien Hand nach seinen Zigaretten.
„Wie weit noch?“, fragte Rafiq.
„Zwanzig Minuten.“
„Wie geht es weiter, wenn wir Fedorow haben?“
„Vor der Küste wartet eine Jacht, die auf einen Sayanim registriert ist. Sie wird uns direkt nach Hause bringen.“
„Gut“, sagte Rafiq. Sein Hals war trocken.
„Entspann dich. Wir haben Unterstützung von oberster Stelle.“
„Jetzt plötzlich wieder?“
Der Katsa lächelte. „Sonst hätten wir das Team nicht bekommen.“
„Klar.“ Rafiq lehnte sich zurück.
Katzenbaum ließ die Scheibe herunter und zog an seiner Zigarette. „In ein paar Stunden ist alles vorbei.“
So Gott will, dachte Rafiq und starrte aus dem Fenster.
„Kann ich eine Zigarette haben?“, fragte Carmen.
Wortlos hielt Nikolaj ihr die Packung hin. Sie hatten sich nebeneinander auf den Boden gesetzt, die Beine ausgestreckt, Rücken gegen die Wand. Draußen wütete der Sturm. Das Schiff schlingerte. Aus dem Maschinenraum war das Stampfen der Dieselmotoren zu hören. Trotz des Unwetters begann die Anspannung allmählich von Nikolaj abzufallen. Er zog die Beretta aus dem Hosenbund und legte sie neben sich auf den Boden. Carmen beobachtete ihn aus dem Augenwinkel, ihr Gesicht bekam einen undefinierbaren Ausdruck.
„Keine Sorge“, sagte Nikolaj. „Ist nur wegen der Bequemlichkeit.“
„Wie geht es weiter? Wenn wir in Zypern sind, meine ich.“
Er schwieg einen Moment. „Improvisieren“, sagte er dann.
„Ah. Du willst es mir nicht verraten. Weil du mir nicht traust.“
Er drehte den Kopf, um ihr Gesicht zu sehen. Sie erwiderte den Blick. Zu seiner Überraschung spielte ein kleines Lächeln um ihre Lippen.
„Dir ging es wirklich nur darum, den Hedschab loszuwerden?“, fragte er.
Ihr Lächeln vertiefte sich. „Vor allem denke ich über deine Zusicherung nach, mich nicht umzulegen. Das ist ein gutes Gefühl.“
Bedächtig blies er Rauch aus. „Du traust mir das wirklich zu, ja?“ Und warum auch nicht, dachte er im gleichen
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