Das dunkle Fenster (German Edition)
eine Frage der Zeit und der Mittel.“
Das Schiff legte sich zur Seite, so dass die Beretta über den Boden zu rutschen begann. Nikolaj fing sie mit einer Hand und hielt sie fest. „Allerdings nützt dir dieses Wissen nichts. Es hilft nicht gegen die Schuldgefühle.“
„Ich weiß“, sagte Carmen. Ihre Stimme klang ausdruckslos.
Nikolaj drehte den Kopf und sah sie schließlich doch an. Er fühlte sich mit einem Mal sehr verletzlich. Seine Nerven vibrierten. Ihm wurde klar, dass er nicht wusste, welche Reaktion er sich von ihr erhoffte. Vergebung? Mitgefühl? Nein, das auf keinen Fall. Darum ging es nicht. Verständnis vielleicht. Er wollte, dass sie es verstand. Danach mochte sie urteilen, wie sie wollte. Aber sie sollte ihr Urteil auf der richtigen Basis fällen. Sie sollte nicht die Geschichten glauben, die der Mossad ihr erzählt hatte.
„Woher weiß ich, dass du mich nicht belügst?“, fragte Carmen trocken.
„Gute Frage.“
Sie nickte. Ein nachdenklicher Zug glitt über ihr Gesicht. „Wie ging es weiter? Was ist danach passiert?“
Nikolaj hatte einen faden Geschmack im Mund. „Ich war eine Zeitlang in Khiyam inhaftiert. Ich weiß nicht genau, wie lange. Vielleicht zwei Monate. Dann brachten sie mich nach Israel. Sie verlegten mich nach Megiddo, das ist eine Haftanstalt für politische Gefangene. Ein Militärgefängnis.“
„Ich weiß, was Megiddo ist.“
„Gut. Ich bekam eine Nummer und das war’s. Keine Anklage, kein Prozess. Ich vermute, sie hatten nicht vor, mich jemals wieder gehen zu lassen.“
„Trotzdem bist du jetzt hier.“
„Das stimmt.“
Sie legte den Kopf schräg, ihre Augen schmal vor Konzentration.
„In Megiddo habe ich zwei Jahre gesessen“, fuhr er fort. „Ich habe mich mit zwei Mitgefangenen zusammengetan, Europäern. Wir haben gemeinsam unsere Flucht geplant. Einer der beiden hatte die richtigen Verbindungen, um uns außer Landes zu bringen.“
„Und danach hast du dich als Killer verdingt, oder was?“
„Das ist eine lange Geschichte.“
Carmen zog die Beine an den Körper und schlang ihre Arme um die Knie. „Was erwartest du jetzt von mir?“
„Wie ist es dir damals ergangen?“, stellte er die Gegenfrage. „Dir und Rafiq?“
„Oh, Rafiq“, sie lachte kurz auf, „es gab mal eine Zeit, da hat er Tag und Nacht darüber nachgedacht, wie er dich finden und töten könnte. Er hat dir den Verrat ziemlich übel genommen, weißt du?“
„Natürlich.“
„Wir sind davon ausgegangen, dass du uns verkauft hast. Rafiq sagte mir, du hättest den Israelis erzählt, dass er zum engsten Führungskreis der PFLP gehört. Um den Preis hochzutreiben.“
„Und das habt ihr geglaubt?“
Ihre Stimme wurde hart. „Ehrlich gesagt weiß ich überhaupt nicht, was ich glauben soll.“
Nikolaj warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Die Zeiger standen auf Viertel nach zwei. Er hatte den Eindruck, dass der Sturm allmählich abflaute. Noch immer pflügten sie durch unruhige See, aber er hatte nicht länger das Gefühl, dass die Wassermassen jeden Augenblick den Rumpf eindrückten.
„Kann ich dich was fragen?“
„Du willst wissen, warum wir jetzt für Israel arbeiten?“
Er nickte.
Carmen sah ihn einen Moment an, dann begann sie leise zu lachen.
„Ich zitiere dich: Das war eine Folge der Umstände.“
„Es gibt immer einen guten Grund“, erwiderte Nikolaj.
„Ja, sicher. Überlebensstrategie, schätze ich. Und irgendwann wurde es Gewohnheit.“
„Was ich nicht verstehe, ist Rafiqs Motivation. Er war aus tiefstem Herzen davon überzeugt, dass Israel das Böse verkörpert.“
„Es war wegen mir“, sagte Carmen leise. „Ich bin eingeknickt. Ich habe das nicht ausgehalten. Ich wollte da raus. Egal um welchen Preis.“
„Also“, führte Nikolaj den Faden fort, „habt ihr eine Vereinbarung mit dem Mossad getroffen.“
„Mit der Zeit ist es ein Job geworden wie jeder andere. Sie zahlen gut.“
„Und ihr habt eure Jugendideale aufgegeben.“ Nikolaj seufzte. „Aber das habe ich auch. Ich bin nicht in der Position, das zu verurteilen.“
„Nein, bist du nicht.“
„Und jetzt?“, fragte er. „Was war der Plan?“
„Was dich betrifft?“
„Ja.“
Carmen fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. „Ich habe es dir gesagt. Ich hatte lediglich die Aufgabe, dich zu identifizieren.“
„Und Rafiq?“
„War nur da für den Fall, dass etwas schief gehen würde. Wir hatten keinen Zugriff geplant. Noch nicht jedenfalls.“ Sie seufzte. „Es gab
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