Das dunkle Fenster (German Edition)
Augenblick. Er hatte es immerhin selbst in Erwägung gezogen.
„Du hast dich verändert.“
„Vielleicht liegt es daran, dass die Rahmenbedingungen sich geändert haben.“
„Du willst sagen, du bist ein Opfer unglücklicher Umstände.“ In ihrem Tonfall schwang Ironie. „Ich würde dich gern was fragen.“
„Ja?“
„Versteh mich nicht falsch, ich will das nicht werten. Ich will es nur verstehen.“
Es ging um damals, dachte er plötzlich. Etwas in ihm wollte zurückweichen, aber er gestattete es nicht. Dieses Mal nicht. „Das ist nicht so gelaufen“, sagte er, „wie wir es uns vorgestellt haben.“
„Nein“, sagte sie ruhig. „Warum hast du dich für die andere Seite entschieden?“
„Was haben sie euch denn erzählt?“ Er hatte sie das schon vorher gefragt, in St. Erasmus, am Morgen nach der Schießerei in ihrem Apartment. Aber die Situation hatte sich verändert. Es war nicht länger eine Kraftprobe, ein Kampf um Informationen. Jetzt wollte sie reden. Ihre Stimme klang flach.
„Sie sagten, dass du einen Pass bekommen hast, ein Flugticket nach Europa und eine Menge Geld. Ich habe mich immer gefragt, wie viel es war.“ Sie musterte den Boden, dann plötzlich blickte sie auf und sah ihn an. „Wie viel, Nik? Wie hoch war der Preis unserer Freundschaft?“
Er wollte ihr die Frage zurückwerfen. Er wollte sie fragen, wie viel man ihr und Rafiq gezahlt hatte, damit sie auf die Seite des Mossad wechselten. Und dann wurde ihm das Problem klar, das zwischen ihnen stand. Lügen, Spekulationen, Missverständnisse. Beschuldigungen. Sie hatte ihre Gründe, er hatte die seinen. Instinktiv breitete er die Handflächen nach oben.
„Ich mache jetzt einen Anfang“, sagte er. „Ich erzähle dir, wie es gewesen ist. Das kannst du dann glauben oder nicht.“
„Mehr will ich gar nicht.“
„Gut.“ Nikolaj zündete sich eine neue Zigarette an. Draußen tobte das Meer. Die Lampe an der Wand flackerte. „Der Preis für euch“, begann er. „Warte.“
Er nahm einen tiefen Zug und blies den Rauch durch die Nase.
„Ich bin eingeknickt, als sie mir die rechte Hand zerschlagen haben. Ich dachte, ich könnte nie wieder einen Pinsel halten. Sie haben mich in diesem Dorf aufgegriffen, in Shab’a. Es waren nicht mal die Israelis, sondern eine Patrouille der SLA, der südlibanesischen Armee. Sie brachten mich zu ihrem Stützpunkt und fingen an, mich zu verhören.“ Nikolaj nahm einen weiteren Zug. „Du kannst dir ja vorstellen, wie das ablief. Es war jedenfalls kein Spaß. Danach wussten sie, dass ich an dem Anschlag auf den israelischen Checkpoint beteiligt gewesen war, und kontaktierten das israelische Militär. Dann ...“ Er zögerte. „Dann wurde ich verlegt“, fuhr er schließlich fort. „Sie brachten mich nach Camp Khiyam. Offenbar glaubten sie, dass sie mit mir den großen Fang gemacht hatten, weil nämlich plötzlich Leute vom Shaback auftauchten, vom israelischen Inlandsgeheimdienst.“
Nikolaj drückte die Zigarette aus und veränderte seine Sitzposition. Er richtete seine Augen auf einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand, während er weiter sprach. „Sie verhörten mich ein zweites Mal.“ Die Bilder waren über die Jahre verblasst. Was er in seinem Gedächtnis fand, war faktisch nur noch reine Information. Seine Erinnerung beschränkte sich auf wenige Details.
Kabelbinder um seine Handgelenke, die ihm das Blut abschnürten. Verschwommene Gesichter, Satzfetzen, eine Sprache, die er nicht verstand. Die Schmerzen, als sie begonnen hatten, ihm die Finger zu brechen. Mein Gott. Er presste seine Fingerspitzen gegen die Schläfen. Diese spezielle Erinnerung war lebendiger, als er erwartet hatte.
„Die Shaback-Leute waren wirklich effizient, was Verhöre angeht.“
Carmen bewegte sich neben ihm, aber er sah sie nicht an.
„Ich habe ihnen alles erzählt“, sagte er. Mechanisch formte er die Worte in seinem Mund. Er hatte sich davor gefürchtet, sie auszusprechen. Nun stellte er fest, dass es ganz leicht war. „Ich habe ihnen alles gesagt“, wiederholte er. „Alles was sie wissen wollten. Es gibt einen Punkt beim Verhör, an dem du entscheidest, dich selbst aufzugeben. Von da an spielt nichts mehr eine Rolle, nur noch das Wissen, dass sie aufhören werden, wenn du ihnen gibst, was sie wollen.“ Er stieß geräuschvoll den Atem aus. „Man muss sich da nichts vormachen“, sagte er. „Es gibt immer einen Weg, dich an diesen Punkt zu bringen, egal, wie trainiert du bist. Ist nur
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