Das dunkle Feuer der Nacht: Roman (German Edition)
dass sie auf der Hut war.
»Du müsstest eigentlich wissen, Solange, dass unsere Rasse ausstirbt«, sagte Brodrick in nüchternem Ton, als wären sie gute Freunde, die ein altbekanntes Thema diskutierten.
Er war kaum auszumachen in der Dunkelheit, wo er in einiger Entfernung von ihr stand und Jeans anzog. Solange wandte den Blick ab. Brodrick war klug genug, sich aus ihrer Schusslinie herauszuhalten, aber … Sie wackelte ein bisschen hin und her und stieß mit den Füßen Zweige fort, bis sie genug Platz hatte, um sich hinzulegen. Solange nutzte die Geschmeidigkeit ihrer Katze, um Brodrick nicht auf ihre veränderte Haltung aufmerksam zu machen, und ließ sich Zentimeter für Zentimeter auf den Bauch herab.
Genauso langsam und vorsichtig schob sie dann die Armbrust unter eine der dicken Wurzeln, in deren Geflecht sie sich versteckte. Sie hatte nur ein paar Zentimeter Spielraum, aber genug, um einen Pfeil hindurchzuschießen. Es war ein kniffliger Schusswinkel, und sie konnte auch keinen ihrer speziellen Vampirpfeile benutzen, doch die kleineren, traditionellen würden auch genügen.
»Natürlich weiß ich das, Brodrick. Und ich weiß auch, dass du die Schuld daran trägst und den Niedergang unserer Spezies mit voller Absicht und aus purer Niedertracht herbeigeführt hast. Du wusstest genau, was du tatest, also erspar mir deinen ›Du musst unsere Spezies retten‹-Vortrag. Wer ist übrigens dein Freund? Der lauter herumschleicht als die Zikaden singen? Man sollte meinen, er hätte gelernt, sich still zu verhalten, falls er einer deiner Bodyguards sein sollte.« Ihre Stimme triefte nur so vor Sarkasmus.
Sie veränderte den Schusswinkel ein wenig, als Brodrick noch mehr mit der Dunkelheit verschmolz. Er würde sich schon noch bewegen. Einen Fuß, eine Hand – es war egal, welchen Teil seiner Anatomie er offenbarte. Sie würde ihn auf jeden Fall erwischen.
Brodrick seufzte übertrieben laut. »Reggie, du kannst genauso gut auch von da wegkommen.«
In seiner Stimme schwang plötzlich Verärgerung mit, und ein warnendes Frösteln lief Solange über den Rücken. Er führt etwas im Schilde, dachte sie stirnrunzelnd. Ihr einziger Vorteil war, dass sie sie lebend wollten. Brodrick würde sie nicht töten, und sein Begleiter erst recht nicht. Als Gestaltwandlerin mit königlichem Blut war sie lebend viel zu wertvoll. Brodrick wollte einen Erben. So widerlich und abscheulich es auch war, Solange wusste, was er vorhatte. Der bittere Geschmack von Galle stieg ihr in den Mund, aber ihr Blick wich nicht von der schattenhaften Gestalt, die sich hinter dem Schleier aus dichtem Buschwerk hin und her bewegte.
Bei der nächsten Bewegung ihres Vaters schoss Solange einen Pfeil ab, der durch das Gesträuch zischte und traf. Brodrick schrie auf und fluchte. Sie hörte den schweren Aufprall seines Körpers, als er ins Gebüsch fiel. Hoffentlich wachsen dort Brennnesseln!, betete sie stumm.
»Ich werde dir dein verdammtes Leben zur Hölle machen, du kleines Biest«, tobte er so laut, dass seine Stimme durch den Urwald schallte. »Jeder Tag, den du erlebst, wird dir nichts als Schmerzen bringen. Ich kenne mehr Wege, einer läufigen Hündin Schmerzen zuzufügen, als du ahnst.«
In der Enge des Wurzelgeflechts fiel es Solange schwer, einen weiteren Pfeil in der Armbrust zu befestigen. Sie zappelte herum, obwohl sie sich Mühe gab, sich ruhig zu verhalten. Ihr Bein streifte das dicke Holz an ihrer rechten Seite, als sie versuchte, den Arm in Position zu bringen. Etwas ergriff ihren Fußknöchel und drückte ihn brutal auf den Boden. Sie spürte den Stich und das scharfe Brennen noch, als sie die Armbrust schon losließ, das Messer aus der Scheide an ihrem Schenkel riss und sich in einer einzigen Bewegung zur Seite rollte, um dem Mann, der sie festhielt, die Klinge zwischen die Rippen zu stoßen.
Komm schnell! , rief sie Dominic zu Hilfe. Sie haben mir irgendwas injiziert.
Sie hatte gewusst, dass Brodrick etwas vorhatte. Sie hatten sie mit knackenden Zweigen getäuscht und sie glauben lassen, Reggie befände sich zu ihrer Linken. Was für ein dummer, dummer Fehler! Solange versuchte, ruhig zu bleiben und möglichst flach zu atmen, damit das, was auch immer sie ihr gespritzt hatten, sich nicht zu schnell in ihrem Organismus verbreitete. Sie dachten, sie hätten Zeit. Dass sie irgendwann einschlafen würde und sie dann mit ihr machen konnten, was sie wollten. Sie konnten ja nicht ahnen, dass Dominic zu ihr unterwegs war.
Reggie
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