Das dunkle Feuer der Nacht: Roman (German Edition)
Schattierungen von Grün, hinreißende Rot- und Violetttöne, und die Blumen an den Bäumen, die durchnässt vom Regen waren, waren unvorstellbar bunt. Sein Magen verkrampfte sich, und Übelkeit stieg in Wellen in ihm auf, weil die Farben so grell waren, dass sie ihn förmlich überwältigten, nachdem er Jahrhunderte nur grau in grau gesehen hatte.
Er dachte, der Adler sei ein Schutz, doch es gab keine Flucht vor den Farben, sie verblassten nicht und lösten sich nicht auf, sondern sprangen ihn an, erfüllten seine Augen und seinen Kopf und überwältigten ihn mit ihren unterschiedlich grellen Tönen. Ein rot-blauer Ara hob sich deutlich von den grünen Ästen ab und starrte ihn neugierig an, als er zum Boden hinunterflog und sich in seine eigene Gestalt zurückverwandelte. Dominic taumelte, presste sich eine Hand an den aufgewühlten Magen und beschattete mit der anderen die Augen. Die Farben waren nicht mehr aufzuhalten – es war, als wäre ein Damm in seinem Kopf gebrochen und jede nur erdenkliche Schattierung und Tönung, jeder Hauch von Farbe vermischten sich und versuchten, die Vorherrschaft über die anderen zu erlangen.
Doch Leid und Kummer lebten und atmeten in ihm. Bedauern. Furcht. Schock. Jede nur mögliche Empfindung erfasste ihn mit der nächsten Angriffswelle. Dominic ließ sich auf ein Knie fallen, versuchte, zu verarbeiten und zu unterscheiden, was er fühlte und was sie fühlte, aber die Empfindungen waren so überwältigend, dass er sich desorientiert und sehr verwundbar vorkam. Seine Seelengefährtin existierte – sie war irgendwo hier in diesem Regenwald und offenbar gar nicht weit von ihm entfernt. Die Frau aus seinen Träumen, die er so geduldig umworben hatte, um Vertrauen zwischen ihnen aufzubauen, war real und keineswegs der unwirkliche Mythos, für den er sie gehalten hatte.
Nein , widersprach er leise in seinem antwortenden Ruf an sie.
Das konnte nicht geschehen. Nicht jetzt. Nicht nach so vielen Jahrhunderten. Nicht, nachdem er aufgegeben und sich zu einem Weg verpflichtet hatte, der sie beide zerstören würde. Sie konnte nicht real sein. Das war unmöglich. Er hatte nur noch Tage zu leben. Wenn er sie berührte, sie für sich beanspruchte, sie an sich band, würde sie an sein Schicksal gefesselt sein.
Es würde mich umbringen, wenn du mich verlässt. Ihre Stimme, die so sanft und schmerzlich vertraut war, erfüllte sein ganzes Sein. Warum hatte er nie bedacht, dass sie real sein könnte? Sie war die ganze Zeit vor ihm gewesen, und er hatte es nicht einmal gemerkt.
Tausend Jahre war er auf dieser Welt gewesen und hatte sie gesucht. Seine Seelengefährtin. Dominic konnte die Süße des Wortes auf der Zunge schmecken und sie in seiner Seele spüren. Er war so lange allein gewesen, und obwohl er die ganze Zeit über einen ehrenhaften, selbst gewählten Weg beschritten hatte, hatte er sie gewollt – nein, sie gebraucht . Die Dunkelheit rief seine Seele schon. Tausend Männer, darunter viele Freunde und Verwandte, waren von seiner Hand gestorben. Es hatte keinen Trost gegeben, nichts, wohin er sich hatte wenden können, nur die Erinnerung an Ehre und die immer mehr verblassende Hoffnung, dass sie zu ihm kommen würde.
Wie viele Male war er nachts herumgewandert, weil er die Sehnsucht nicht mehr ertragen hatte? Rette mich! Manchmal hatte er sich selbst für verrückt gehalten. Die quälende Einsamkeit, der Ruf des Bösen, der ständig an ihm zerrte, dieses Bedürfnis, etwas zu verspüren – irgendetwas –, waren ebenso unerträglich gewesen wie die endlosen Jahre, die sich in unerbittlicher Isolation vor ihm erstreckt hatten.
Ich brauche dich. Die Qual in ihrer Stimme ging ihm ungeheuer nahe.
Und er? Er hatte aufgegeben! Er hatte alle Hoffnung verloren und Schritte unternommen, um die Welt zu verlassen, solange seine Ehre noch intakt war. Es war eine noble Entscheidung gewesen, ein passender Weg für einen Drachensucher, sein Leben zu beenden, und trotzdem war es auch eine feige Handlungsweise. Er hatte einen Punkt erreicht, an dem er erkannte, dass er der Dunkelheit schon viel zu nahe war und sein Bedürfnis nach Gefühlen so stark, dass es sogar in seiner kraftvollen Blutlinie Fuß fasste. Er wollte nicht riskieren, der erste Drachensucher zu sein, der dem Ruf des Vampirs erlag. Er hatte nicht riskieren wollen, seine Seele aufzugeben, und deshalb, als das Risiko immer größer und quälender geworden war, hatte er den Entschluss gefasst, sein Leben zu beenden.
Bleib! Bleib bei
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