Das dunkle Feuer der Nacht: Roman (German Edition)
vielleicht nicht versuchen würden, Witterung aufzunehmen. Manchmal kroch sie auf Händen und Füßen, und oft rutschte sie sogar auf dem Bauch voran, um zu der Stelle zu gelangen, die sie für ihren Angriff ausgewählt hatte.
Vorsichtig blickte sie sich noch einmal um und erhob schnuppernd die Nase in die Luft, bevor sie den Baum hinaufkletterte. Es war viel schwieriger, sich nur halb in eine Katze zu verwandeln, aber sie hatte die Technik im Laufe der Jahre oft angewandt, um schnell auf einen Baum hinaufzuklettern und trotzdem die Waffen und Kleider mitnehmen zu können, die sie brauchte.
Solange setzte sich in eine Astgabel und horchte auf die Geräusche, die vom Flussufer herüberdrangen: viel Gefluche und Gemurmel. Mit schmalen Augen spähte sie durch das Blattwerk, um die Felsen zu beobachten. Aus diesem Winkel konnte sie keine Leiche sehen. Sie mussten Annabelles Körper woandershin gebracht haben, oder vielleicht war er auch von den Felsen ins Wasser gerutscht und von der Strömung mitgerissen worden. Anscheinend war das der Schluss, zu dem auch die beiden Männer dort gekommen waren.
»Du hättest sie zum Ufer hinaufziehen sollen, Kevin«, maulte der eine.
Solange erkannte den Mann, weil sie ihn verwundet hatte. Sie hatte gehofft, ihn ernster erwischt zu haben, aber er ging schon wieder ohne Hilfe.
»Leider war ich zu sehr damit beschäftigt, deinen Hintern ins Labor zurückzutragen, um die Blutung zu stoppen. Wenn nicht, wärst du hier draußen verreckt, Brad«, knurrte Kevin.
Die Jaguarmänner waren berühmt für ihre Übellaunigkeit und hitzigen Gemüter. Keiner der beiden wollte meilenweit dem Fluss folgen, um vielleicht doch noch den Leichnam aufzufinden, doch sie hatten keine andere Wahl. Jeden Beweis für die Existenz ihrer Spezies zu vernichten war ein Gesetz, nach dem sie alle lebten. Die zwei Männer standen dort und blickten mürrisch die Uferböschung hinunter, um dann fast gleichzeitig angewidert auszuspucken. Solange biss sich auf die Lippe, wütend über diese Respektlosigkeit der Frau gegenüber, die diese Kerle so brutal missbraucht und dann auch noch in den Selbstmord getrieben hatten. Entschlossen hob sie das Gewehr. Den Finger auf dem Abzug, atmete sie noch einmal tief durch und nahm dann Kevin ins Visier.
Es gab immer diesen Moment, in dem sie sich fragte, ob sie es schaffen würde – oder ob sie zögern und auf sich aufmerksam machen würde, sodass ihre Feinde Gelegenheit bekamen, sie zuerst zu töten. Aber sie würden sie niemals lebend fassen. Solange hatte zu viele Frauen gerettet und gesehen, was sie ihren Opfern antaten, um zuzulassen, dass sie ihnen lebend in die Hände fiel. Jasmine, ihre Cousine, war von ebendiesen Männern ergriffen worden. Solange hasste sie. Sie verdienten es, zu sterben. Jeder Einzelne von ihnen hatte Morde begangen, Männer, Frauen und Kinder getötet. Dennoch … Sie konnte spüren, wie dieser schreckliche Moment des Zögerns sich immer weiter ausdehnte. Schaffte sie es, wieder abzudrücken? Wie viel von ihr selbst würde sie verlieren, ungeachtet dessen, ob diese Männer den Tod verdient hatten und die Strafe nur gerecht war? Der Preis für das Töten war für sie so hoch gestiegen, dass sie nicht mehr sicher war, ob sie bereit war, ihn zu zahlen.
Sie drückte auf den Abzug. Kevin zuckte zusammen, und der Schuss hallte noch durch den Wald, als der Mann schon zusammenbrach und ein großer roter Fleck an seinem Hinterkopf erblühte. Brad fuhr mit einem Sprung herum und suchte nach der Quelle des Geräusches. Doch da gab Solange schon den zweiten Schuss ab. Die Kugel traf Brad in die Schulter und schleuderte ihn herum, sodass er den Halt verlor und vom Rand der Klippen in den tosenden Fluss hinunterstürzte. Verzweifelt warf er sich noch in der Luft herum und zerrte fieberhaft an seinen Kleidern, als er in das aufgewühlte Wasser stürzte.
Solange drehte sich der Magen um, und bittere Galle stieg ihr in die Kehle. Der zweite Mann würde vermutlich überleben, aber zumindest eine Zeit lang außer Gefecht gesetzt sein. Sie würde ihn später jagen müssen. Und sie würde nie wieder die Verbrennung eines anderen Leichnams überwachen können; beim nächsten Mal würden sie sie schon erwarten. Schon jetzt verstaute sie automatisch die Waffen für den Abstieg, und obwohl sie die ganze Zeit nicht aufhörte zu zittern, bewegte sie sich instinktiv und aus purer Erfahrung. Sie musste sich beeilen und von hier verschwinden. Brodrick reiste mit einer Gruppe
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