Das dunkle Haus: Kriminalroman (Ein Erik-Winter-Krimi) (German Edition)
wollte nicht noch einen Whisky trinken, er wollte nur wegschlafen von dem Brausen, ein Leben in Saus und Braus, wie die Schwachen den Tinnitus nennen. Er nannte ihn eine Selbstverständlichkeit, vielleicht eine Notwendigkeit: Die Kopfschmerzen in den vergangenen Jahren waren schließlich explodiert, seltsamerweise erst, nachdem alles vorbei war, und seine Ärzte – darunter Angela – hatten ihm gratuliert, dass sein Gehirn nicht durch eine irreparable Blutung vernichtet worden war. Hieß das so? Irreparabel? Keine Reserveteile mehr zur Verfügung.
Er drehte sich um. Das Brausen wurde leiser, als hätte sich das Meer zurückgezogen. Aber ganz würde es sich nie zurückziehen, das wusste er. Schließlich hatte er all die Jahre auf der Überholspur gelebt, den Tank voller Adrenalin, und als er das endlich aufgegeben hatte, war er verrückt geworden, jedenfalls für einen Augenblick, zehn Minuten lang, er hatte an einem Swimmingpool in Nueva Andalucia, diesem verfluchten Ort, gestanden und zugesehen, wie ein Mann versuchte, sich selbst zu ertränken, und wie ein anderer Mann versuchte, das Leben des Mörders zu retten. Er, Winter, war leer gewesen, vollständig leer, und als sich Hände nach ihm ausstreckten, Gefahr? Rettung?, hatte er sie ohne Billigung des Gehirns ergriffen, wie in einem Reflex, und er war unter Wasser gezogen worden, hatte festgesteckt wie in einem Kreuz. Wasser war in seinen Kopf geströmt und hatte die Leere gefüllt; das blaue Wasser hatte gereicht, das künstliche Wasser, er hatte sich entspannt und zum Grund sinken lassen. Dann war er langsam unter den Körpern entlanggeschwommen, die immer noch an der Oberfläche kämpften, hatte die Leiter erreicht und sich hochgestemmt, und sein einziger Gedanke in dem Moment war, dass er nicht einmal das Bedürfnis empfunden hatte, Luft zu holen. Der Schmerz war erst gekommen, als er gezwungen war, die spanische Nachtluft in seine Lungen einzuziehen. Sie war kalt gewesen, das Wasser im Pool war noch warm gewesen von der Sonne des Tages. Das Wasser hatte ihn umarmt.
Und dann befand er sich plötzlich an anderen Orten, die immer fremd waren. Der Schlaf ging unmittelbar in Traum über. Er folgte einem Schatten, der sich scharf gegen die schrägen Sonnenstrahlen abzeichnete, ein langer Schatten, länger als alles andere. Der in der Mitte abbrach, als er hinter einer Hauswand verschwand, die weiß war wie eine angestrahlte Filmleinwand, auf der sich nichts bewegte. Er passierte die Wand, bog um die Ecke und sah den Schatten in einiger Entfernung, der sich wie ein perfekter Graben durch das Feld bis zum Meer hinunterzog. Er folgte der geraden Linie, die sich langsam von ihm entfernte, und ganz vorn beim Kopf, wenn es denn ein Kopf war, verschwand der Schatten im Wasser, bewegte sich weiter ins Meer hinein wie eine rußige Linie über den Wellen, teilte das Wasser, und Winter stand jetzt am Ufer und hörte das Brausen, das Einzige, was er hörte, war das Brausen. Er drehte sich um, jemand rief nach ihm, er sah einen Arm, der an einem Fenster winkte, eine zeigende Hand, er sah mehrere Hände, die auf etwas zeigten. Alle schienen auf das Meer zu deuten, und er drehte sich wieder um. Der Schatten war auf dem Weg zurück, aber diesmal war er nicht allein.
Huh!
Er zuckte im Bett zusammen, als hätte er einen Schlag bekommen.
Er war schon im Begriff aufzustehen, wie auf der Flucht, als wäre er noch halb im Alptraum gefangen. Er sah die Schatten angreifen. Er hatte einen ihrer Köpfe gesehen.
Huh!
Winter schauderte, als stürme ein Wind durch seine Wohnung. Er war nackt. In seinem Kopf brauste es stark. Die Uhr auf dem Nachttisch zeigte drei. Er hatte etwa zwei Stunden geschlafen und das Gefühl, als hätte er die ganze Zeit geträumt. Hatte der Traum so lange gedauert, wo hatte er angefangen? War noch mehr passiert? Hatte er sich auch noch an einem anderen Ort abgespielt? War es gar nicht am Meer gewesen?
Das Rauschen aus dem Wasserhahn klang fast genauso wie das Brausen in seinen Ohren. Er ließ das Wasser laufen, stand mit dem Glas in der Hand da, füllte es schließlich und trank. Die fuchtelnden Arme ließen sich nicht aus seiner Erinnerung verscheuchen. Sie wollten ihn warnen, dessen war er sicher, aber da war noch etwas anderes. Als er sich umdrehte, hatte er das Haus in Amundövik erkannt. Jemand hatte aus dem Obergeschoss gewinkt. Dort, fast unter dem Dach, hatte er den ersten Arm wie eine wehende Fahne gesehen. Aber im Obergeschoss war doch gar
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