Das dunkle Haus: Kriminalroman (Ein Erik-Winter-Krimi) (German Edition)
war es noch dunkel. Das Eis unter ihm begann sich von ihm zu entfernen. Bald würde das Wasser unter der Brücke wieder frei strömen. Vor vier Wochen war er zum ersten Mal hier gewesen.
Die Silhouetten der großen Häuser am Ufer ragten in den schwarzen Himmel, Schwarz vor Schwarz.
Warum hier, dachte er. Warum hier? Was bedeutet es, dass es hier passiert ist? Was will uns der Täter damit sagen? Die Tat ist vollbracht, was erzählt sie?
Wie viele Zufälle treffen hier zusammen? Der Täter war entschlossen zu morden, wollte morden. War er entschlossen, irgendjemanden umzubringen? Warum ist er ausgerechnet hierhergekommen? Auf halbem Weg ins Nirgendwo.
Das Haus wurde nicht mehr bewacht, die Wachleute hatten es verlassen. Jovan Mars würde nicht wieder einziehen. Dessen war sich Winter sicher. Was Mars anging, war er nicht so sicher, würde es vielleicht nie werden. Wenn sie mit den technischen Beweisen nicht weiterkamen, würde die Frustration zunehmen, Monat für Monat, schlimmstenfalls Jahr für Jahr. Jahr – für – Jahr – für – Jahr. Kein angenehmer Gedanke.
Als er im Obergeschoss stand, wurde draußen der Morgen geboren. Etwas zog ihn immer wieder hier hinauf, die siebzehn Stufen hinauf. Er zählte sie erneut, wie er die Steine in Paseon in Marbella gezählt hatte. Er stand hinter der Gardine, als wollte er sich vor dem Morgen dort draußen verbergen. Er wollte nie gesehen werden, ein Jäger muss unsichtbar sein.
In der Bucht brütete die Insel wie ein Berg. Er sah Licht in der Fahrrinne, ein Fischerboot näherte sich dem Festland. Er dachte an sein eigenes Strandgrundstück. Habe ich mich entschieden, bevor ich sechzig werde? Wie lange können Angela, Elsa und Lilly noch warten? Wenn sie warten. Nur ich warte. Warte darauf, dass ich endlich bereit bin und anfange zu graben und zu bauen und ein Leben am Meer zu beginnen.
In seinem linken Augenwinkel bewegte sich eine Gestalt, Winter rührte sich nicht, die Gardine war tot.
Da unten hinkte Robert Krol vorbei, kehrte nach zehn Metern um, kam zurück, blieb vor dem Haus stehen. Er kann mich nicht sehen, dachte Winter. Es ist sein üblicher Morgenspaziergang. Seeleute sind Gewohnheitsmenschen.
Krol blieb stehen, den Blick auf etwas Unbestimmtes gerichtet, Winters Fenster, das Fenster vom Kinderzimmer, die Tür, irgendetwas. Winter rührte sich als Erster, trat vom Fenster zurück, ging die Treppe hinunter und nach draußen.
Krol stand noch da.
»Ich hatte das Gefühl, da drinnen ist jemand«, sagte er.
»Ach?«
»Manchmal kann ich so etwas spüren.«
»Ja.«
»Sind Sie schon lange hier?«
»Eine Weile«, sagte Winter.
»Wie geht es voran?«
»Es ist immer noch zu früh, um etwas zu sagen.«
Krol nickte, als würde er das verstehen.
»Es ist immer noch zu früh für alle hier«, sagte er.
»Ihnen ist nichts weiter aufgefallen, Herr Krol?«
»Nein.«
»Keine Fremden?«
»Nicht soweit ich gesehen habe.«
»Jemand, der hier vorbeigefahren ist?«
»Niemand fährt vorbei. Hierher kommt niemand, und niemand fährt weg.«
»Haben Sie den Zeitungsboten getroffen?«, fragte Winter.
»Welchen denn?«
»Sind es mehrere?«, sagte Winter.
»Ich glaube, das wissen Sie«, sagte Krol.
»Kennen Sie alle?«
»Ich kenne keinen.«
»Aber haben Sie sie gesehen?«
»So früh bin ich selten draußen.«
»Einer der beiden Männer ist tot«, sagte Winter.
»Herr im Himmel.«
»Ja.«
»Besteht ein Zusammenhang mit dem hier?«
»Zu früh zu sagen.«
»Ich will es nicht wissen«, sagte Krol. »Es ist Ihr Job.«
»Ja.«
»Möchten Sie eine Tasse Kaffee?«
»Danke, gern.«
»Die Leute hier sind wie gelähmt«, sagte Krol. »Sie bleibt. Die Lähmung.«
Sie saßen auf der Veranda. Krols Frau war nicht da, sie war vermutlich unterwegs.
»Was sagen die Leute?«
»Ich spreche mit kaum jemandem.«
»Warum nicht?«
»Was soll das für einen Sinn haben?«
»Manchmal hat es tatsächlich einen Sinn.«
Krol antwortete nicht. Er hatte seine Kaffeetasse nicht angerührt. Von ihrem Platz hatten sie das Meer im Blick.
»Vielleicht sind Sie zu häufig einsam gewesen auf See«, sagte Winter.
»Es kann nie zu viel sein. Und man ist nie einsam. Ich war ja nicht gerade ein einsamer Segler.«
»Haben Sie Sandra Mars mit jemand anderem als der Familie zusammen gesehen?«
»Wann hätte das sein sollen?«
»Irgendwann.«
»Darüber haben wir schon mal gesprochen. Sie haben mich schon einmal gefragt.«
»Ich werde nicht aufhören zu fragen.«
»Glauben
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