Das dunkle Haus: Kriminalroman (Ein Erik-Winter-Krimi) (German Edition)
Wendepunkt. So habe ich es eigentlich schon vor einigen Tagen empfunden. Ein Wendepunkt.«
»Was ist passiert?«
»Ich habe das Gefühl, dass etwas passieren wird, ein ganz starkes Gefühl.«
»Etwas Positives?«
»Ich weiß es nicht, vielleicht spielt es auch keine Rolle.«
Sie pulten die Krabben aus. Wie hatte er es vermisst, erst das Ritual, dann der Geschmack. Es gab nichts Besseres in Göteborg als frische Krabben; anderswo gab es Schalentiere, die fast genauso gut schmeckten, aber mit den Krabben war es anders. Er leckte sich den Rogen von den Fingern. Das Salz schmeckte hier anders, salziger, stärker.
»Ich habe ihn gesehen, mit dem Kinderwagen«, sagte sie und legte ein paar Krabben auf eine Scheibe Baguette, gab ein wenig Aioli darüber, eine Fingerspitze Dill.
»War er allein?«
»Ich beobachte ihn doch nicht ständig.« Ihre Hand mit dem Krabbenbrot hielt auf halbem Weg zum Mund inne. »Du verlangst doch wohl nicht, dass ich ihn kontrolliere.«
»Nein, nein.«
»Das würden sie merken. Er würde das erkennen.«
»Ja. Er hat die Späher sofort entdeckt.«
»Ich könnte so was nie tun. Das verstehst du doch, Erik?«
»Ja, ja.«
»Hast du ihn überwachen lassen?«
»Natürlich.«
»Habt ihr so viel Personal?«
»Eine Weile, dieses Mal. Es handelt sich nicht um irgendein Verbrechen.«
»Wird er immer noch verdächtigt?«
»Kein Kommentar.«
»Nein, ich verstehe.«
»Die Antwort ist natürlich ja. Wie sollte es auch anders sein.«
»Wenn er es war, verhält er sich aber wirklich sehr merkwürdig. Ich habe ihn mit dem Kinderwagen gesehen, wie gesagt.«
»Die Menschen sind kompliziert, Lotta.«
»Das ist ja eine verdammt diplomatische Antwort.«
»Grüßt du ihn?«
»Ich nicke ihm zu, wenn ich im Auto an ihm vorbeifahre. Hör mal, muss ich jetzt ernsthaft Angst bekommen?«
»Natürlich nicht.«
»Wenn jemand die Negation verstärkt, ist Gefahr im Verzug. Du hast schon mehrere Male ›natürlich‹ gesagt.«
»Jetzt iss deine Krabben, Lotta.«
Er bereitete eine Scheibe Brot vor, schnitt das Ei in Scheiben, legte sie auf das Brot, streute ein wenig Cayennepfeffer darüber.
»Ich muss immerzu an das Schreckliche denken«, sagte sie. »Vielleicht, weil es so … nahe gekommen ist. Rein physisch nahe, meine ich.«
Er verteilte Krabben auf dem Baguette, Aioli, Dill. Es schmeckte ausgezeichnet, auch ohne kalten Riesling. Er kaute, versuchte, nicht an den Fall zu denken.
»Ich fahre wieder zu Mama«, sagte sie. »Es ist entschieden. Man kann ja nicht wissen.«
Er nickte, konnte im Augenblick nicht sprechen.
»Und wann fährst du?«, fragte sie.
Er schluckte.
»Sobald es geht.«
»Wann ist das?«
»Sobald ich kann.«
23
Als Winter sich gerade in sein Auto setzen wollte, kam Jovan Mars aus dem Haus seiner Schwester. Mars war allein. Winter wartete neben dem Auto. Mars war auf dem Weg zu ihm.
»Ich habe Sie kommen gesehen«, sagte er.
»Spionieren Sie mir nach?«
»Nur wenn Sie hier auftauchen.«
»Wollen Sie etwas von mir, Herr Mars?«
»Ich möchte über Sandra sprechen.«
Gerda Hoffner fuhr zwischen den Neubauten in Kullavik herum. Sie kam an einem neuen Einkaufscenter vorbei und sah mehrere junge Mütter mit Kinderwagen. Sie versuchte sich selbst als junge Mutter vorzustellen, aber das gelang ihr nicht. Ich bin nicht jung und ich bin keine Mutter, dachte sie. Für das eine ist es zu spät, aber nicht für das andere. Ich will das andere. Ich will zu viel.
Sie las die Straßenschilder, fuhr hundert Meter weiter, parkte vor einem gepflegten Doppelhaus. Auf der Veranda stand ein Kinderwagen. Sie ging die wenigen Meter bis zur Tür und klingelte. Eine Frau öffnete nach dem zweiten Signal. Sie trug ein kleines Kind auf dem Arm. Das Alter konnte Hoffner nicht schätzen. Sie stellte sich vor.
»Ich will nur Olga eben hinlegen«, sagte Pia Meldén, die Freundin von Sandra Mars.
Olga. In Gerda Hoffners Ohren klang der Name, als sollte eine alte Frau in einem Heim zu Bett gebracht werden. Namen kehrten im Kreislauf der Mode immer wieder. Gerda war vermutlich auch ein alter Name.
Sie wartete im Flur. Er war hell und lang, am anderen Ende sah sie in offene Zimmer, große Panoramafenster mit Ausblick auf einen Berg, und dahinter lag das Meer, es war nicht weit bis dort. Im Sommer drangen die starken Gerüche des Meeres bis ins Land hinein.
Meldén kam zurück. Sie scheint im gleichen Alter wie Sandra zu sein, dachte Gerda. Wie ich, bald auf der falschen Seite der dreißig.
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