Das dunkle Herz Kashas
sagen sollen... Du hättest es bei deiner Entscheidung, dir von mir die Nebelwälder zeigen zu lassen, wissen müssen. Es war nicht rechtens, es vor dir zu verheimlichen...“ Er holte tief Luft. „Ich bin ein Magier, Lia. Einer der Nachfahren des Schatten, der sich in eine Kasha verliebte. Deshalb bindet der Fluch, der über dem Kernland liegt, mich enger als die meisten. Deshalb fürchten mich die Bashra und die Grugandar – und die Kasha ebenfalls. Die meisten Lebewesen des Kernlandes fürchten nichts so sehr wie Magie. Und das aus gutem Grund. Es tut mir leid, dass ich es dir verschwiegen habe.“ Erst jetzt hob er den Blick; seine zweifarbigen Augen schienen mich anzuflehen, ihm zu vergeben und mich nicht von ihm abzuwenden.
Sprachlos sah ich ihn für wer weiß wie viele Herzschläge nur an. Was er mir gerade eröffnet hatte, machte Sinn. Es erklärte vieles, was mir seltsam vorgekommen war. Und doch fiel es mir schwer, zu akzeptieren, dass Xerus nicht einfach ein freundlicher, hilfsbereiter Mann, halb Kasha, halb Grugandar war, sondern ein Magier, dessen magisches Erbe bis zu den unvorstellbar mächtigen Schatten reichte. Wieso war ich nicht selbst darauf gekommen? Es passte alles zusammen. Wieder nagte an mir der Gedanke, Xerus könne der Herrscher der Kieselwüste sein. Aber welchen Sinn machte das? Magie mochte ein Grund sein, warum der Herrscher so viel Macht über die Kasha des Kernlandes hatte. Doch Xerus hatte gesagt „einer der Nachfahren des Schatten“. Selbst wenn der Herrscher der Kasha Magie beherrschte, hieß es noch lange nicht, dass Xerus und er dieselbe Person waren. Wieso sollte Xerus mir von diesem Herrscher erzählen, wenn er es selbst war? Nur, um mich von den Kasha fernzuhalten? Weshalb sollte sich ein mächtiger Magier und grausamer Herrscher die Mühe machen, eine Ausgestoßene zu täuschen und durch sein Reich zu führen? Oder waren die schauerlichen Geschichten über die grausamen Taten des Herrschers Märchen, um die Kasha in Angst zu halten? Mein Blick wanderte zu Xerus zurück. Er hatte sich von mir abgewandt, seine sonst so aufrechte Haltung war fort, er schien in sich zusammengesunken. Einsam wirkte er und mutlos. Jedoch nicht gefährlich oder gar grausam oder böse. Änderte mein neues Wissen über ihn, wie ich für ihn empfand? Ich horchte in mich hinein, fand jedoch weder Angst noch Misstrauen; was ich für diesen mir im Grunde fremden Mann fühlte war Zuneigung und Vertrauen. In mir brannte der Wunsch, mehr über ihn zu erfahren. Entschlossen ging ich zu ihm hinüber.
Er zuckte zusammen, als ich ihn leicht an der Schulter berührte. Offensichtlich war er tief in Gedanken gewesen. Ich war mir sicher, dass es ihm normalerweise nicht entging, wenn sich ihm jemand näherte.
„Zeigst du mir den Ort, an den du dich vor der Welt zurückziehst?“ fragte ich sanft.
Xerus suchte mit überraschtem Gesichtsausdruck meinen Blick. Er schien in meinen Augen – vielleicht aber auch in meinem Denken und Fühlen – die Antwort auf eine sehr wichtige Frage zu suchen. Schließlich nickte er und ergriff meine Hand.
Er führte mich zu einem großen Baum mit schwarzer Rinde, die über und über mit Schriftzeichen und Symbolen bedeckt war. Obwohl ich mich fragte, wie sie mit so wenig Licht auskamen, gab es in den Nebelwäldern viele große Bäume. Aber dieser war besonders prachtvoll. Kein Wunder, dass Xerus offenbar gerade ihn als Mittelpunkt seines Zaubers ausgewählt hatte Auf ein geflüstertes Wort von Xerus fiel eine Art Leiter aus den Wipfeln des Baumriesen herab, die aus knorrigen, leinenartigen Pflanzen geknüpft war.
Ich legte meinen Kopf in den Nacken und versuchte zu erkennen, wohin diese Leiter führte. Außer dem schwarzen Stamm des Baumes und der Leiter entdeckte ich jedoch nichts. „Was sind das für Symbole und Schriftzeichen?“ erkundigte ich mich.
„Du kannst sie sehen?“ Xerus klang erstaunt. „Das muss an dem Amulett liegen, das du trägst. Gibst du es mir für einen Moment?“
Ich folgte seiner Bitte und sobald ich das Amulett losgelassen hatte, so dass es in Xerus' ausgestreckte Hand fiel, waren die Symbole fort. Ich sah nur noch schwarze, unversehrte Baumrinde. „Die Schrift ist verschwunden...“ murmelte ich verwirrt.
„Nicht verschwunden“, widersprach Xerus. „Nur vor deinen Augen verborgen. Du konntest sie sehen, weil du das magische Amulett getragen hast. Beide sind durch mich entstanden. Offenbar verbindet dies die beiden Zauber. Interessant –
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