Das dunkle Herz Kashas
und ein wenig beunruhigend...“ Er gab mir das Amulett zurück.
Als das Amulett wieder sicher um meinen Nacken baumelte – und ich die Zeichen wieder so gut erkennen konnte als seien sie nie fort gewesen - setzte Xerus einen Fuß auf die unterste Sprosse der Leiter und rief mich zu sich. Er bat mich, ebenfalls die Leiter zu betreten. Dann legte er einen Arm um meine Taille und warnte mich: „Halte dich gut fest, es geht aufwärts!“
Wieder gab er einen geflüsterten Befehl von sich und die Pflanzenleiter schoss in die Höhe. Leicht benommen und mit einem schwindeligen Gefühl in Bauch und Kopf fand ich mich wenig später in einer kleinen Hütte wieder, die in den Wipfel gebaut – oder gezaubert? - worden war. In einer Ecke gab es ein Lager aus Decken und Fellen. In der Mitte stand ein kleiner Tisch, auf dem sich getrocknete Beeren und Früchte türmten. Eine Wand war zu zwei Dritteln offen und doch drang kein Windhauch hindurch. Womöglich versiegelte ein Schutzzauber dieses Fenster. Der Ausblick über die Äste und Blätter war unglaublich. Zudem waren wir hoch genug im Baum, so dass ich durch das Blätterdach kleine Stücke blauen Himmels erkennen konnte. Was für ein – im wahrsten Sinne – magischer Ort!
Xerus bot mir an, auf einem der Felle Platz zu nehmen. „Möchtest du etwas essen? Oder erst ein wenig ausruhen? Du siehst blass aus... Ich hoffe, ich habe dir nicht zu viel zugemutet.“
„Das hast du nicht“, versicherte ich rasch. „Es ist für mich sehr ungewohnt, mich so schnell einen Baum hinaufzubewegen; vor allem für meinen Magen... Wenn du mir einen Moment Zeit gibst, werde ich dein Angebot, etwas zu essen gern annehmen.“
Durch das Fenster fiel warmer Sonnenschein in den Raum. Das Licht fing sich in einem blutroten Stein, der funkelte und glitzerte.
„Ein Heratid“, erklärte Xerus, der meinem Blick gefolgt war, „Diese Steine sind ebenso selten wie magisch. Man findet sie mit viel Glück in der schwarzen Kieselwüste. Der Heratid stärkt den Zauber, der diesen Ort erhält wie er ist. Ohne ihn würde der Fluch meines Ahnen alles Lebendige, das diesen Ort ausmacht, wieder zerstören und die Nebel zurückbringen. Die Schatten benötigen solcherlei Hilfsmittel für ihre Magie nicht. Aber ihre Kraft ist in mir so stark verwässert und abgeschwächt, dass ich für viele Zauber und Flüche auf sie zurückgreifen muss. Einen so mächtigen Fluch wie den, der mich an das Kernland bindet, könnte ich jedoch auch mit den mächtigsten Hilfsmitteln niemals bewirken...“
Ich sah mir den Stein interessiert an. „Und all die Schriftzeichen und Symbole auf diesem Baum? Sind sie auch Teil der Magie, die diesen Ort so erhält, wie er ist?“
„Nicht direkt“, erwiderte Xerus nachdenklich. „Sie bilden eine Art Schutzzauber, der jeden von diesem Ort fernhält, dem ich den Zutritt nicht gewähre. Selbst der Herrscher der schwarzen Wüste könnte diesen Ort nicht betreten, obwohl seine Macht weit über meine hinausreicht.“ Xerus sah schweigend auf den dunkelroten Stein.
Ich spürte, dass er etwas Wichtiges mit sich selbst auszumachen hatte und schwieg ebenfalls.
Meine Gedanken wanderten durch die Erlebnisse der letzten Tage. Mir wurde klar, dass Xerus mir einerseits noch immer große Rätsel aufgab, mir andererseits jedoch seltsam vertraut schien. Ich hatte mich an seine Gegenwart und Aufmerksamkeit gewöhnt. Mit jedem Tag, der verstrich, genoss ich es mehr, mir von ihm dieses faszinierende Gebiet zeigen zu lassen und einen tiefen Einblick in dessen Geschichte zu erhalten.
Mir wurde bewusst, dass Xerus mich ansah. Offenbar war er zu einer Entscheidung gekommen. Gespannt wartete ich ab, was er mir sagen wollte. Xerus räusperte sich. Mit den Fingern der linken Hand drehte er unruhig den schwarzen Ring, den er am Daumen der rechten Hand trug. Der Ring wirkte alt, sehr alt.
„Ich möchte dir etwas erzählen, Lia“, begann Xerus. „Nein. Das entspricht nicht der Wahrheit. Eigentlich möchte ich es nicht. Aber ich denke, dass du es wissen solltest. Vielleicht erinnerst du dich daran, dass ich dir vom Herrscher über die Kasha in der schwarzen Kieselwüste berichtet habe.“
Ich nickte.
„Er beherrscht Magie, die mächtiger ist als die meine – und er scheut nicht davor zurück, diese gegen die Kasha zu richten. Ein Grund dafür, dass ich dich nicht in die Nähe seiner Festung führen will, ist, dass ich bezweifle, dass ich dich vor ihm schützen könnte. Ein weiterer, dass ich davor
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