Das dunkle Herz Kashas
schwarzen Wüste anlegst?“
Die Schuldgefühle, die ich in seinem Gesicht sah, als er den Blick wieder zu mir erhob, schmerzten mich. „Mir steht es frei, zu gehen, wohin ich möchte, das ist wahr. Und doch gibt es keinen Ort in Kasha – oder in den anderen Ländern Mendovars – zu dem es mich zieht. In Kasha wäre ich überall die Ausgestoßene, die ihren Weg verlassen hat. In den anderen Ländern wäre ich eine Fremde. Hier aber, im Kernland, in den Nebelwäldern, fühle ich mich zum ersten Mal seit ich meine Mutter und meinen Vater verlassen musste, wie ich selbst. Ich habe das Gefühl, dass dies genau der Ort ist, an dem ich sein sollte. Vielleicht hat mich der Wille der Götter nur zur Novizin bestimmt, damit ich lerne, zu kämpfen. Frauen ist dies in Kasha ansonsten verboten.Vielleicht musste ich lernen, wie ich mit einer Waffe umgehe, damit ich dir helfen kann, deine Bürde zu tragen und deine Bestimmung zu erfüllen. Vielleicht musste ich ehrlos des Heiligtums verwiesen werden, damit mich mein Weg in diese einsamen Gebiete Kashas führen konnte! Das macht doch Sinn, findest du nicht? Beinahe bin ich überzeugt davon, dass sich mein Weg mit dem deinen kreuzen sollte. Für uns beide könnte ein neuer Anfang in dieser Begegnung liegen. Noch wissen weder du noch ich, wie das so unerreichbar scheinende Ziel, die Kasha von der dunklen Herrschaft deines Bruders zu befreien, doch erreicht werden kann. Doch das heißt nicht, dass wir dieses Ziel nicht erreichen können.“
Xerus lächelte mich etwas gequält an. „Danke, Lia. Deine Anwesenheit und Furchtlosigkeit geben auch mir Kraft und Mut. Ich hoffe nur, dass ich all dem Unrecht, das ich nicht zu verhindern wusste, nicht auch noch die Schuld an deinem Tod hinzufüge!“
„Es ist nicht deine Schuld, dass dein Bruder ein grausamer Herrscher ist. Was hättest du denn tun sollen, nachdem er euren Vater getötet hatte? Dich auch von ihm töten lassen? Wem wäre dadurch geholfen gewesen?“ versuchte ich, Xerus zuzureden.
„Was hätte ich tun sollen? Du meinst, statt vor der Auseinandersetzung davonzurennen wie ein geprügelter Bashra? Ich habe nicht einmal daran gedacht, mich ihm entgegenzustellen!“ In Xerus' Stimme schwangen Wut auf sich selbst, Verachtung und Verzweiflung mit. Sein finsterer Blick war starr auf seine Hände gerichtet.
Mit sanftem Druck meiner Hand hob ich sein Kinn an, so dass er mir wieder ins Gesicht sehen musste. Bei dieser Berührung spürte ich dasselbe Prickeln wie an der Stelle meiner Haut, auf der das Amulett auflag. „Du hast selbst gesagt, dass nicht einmal sein Lehrmeister, euer Vater, einen Sieg über deinen Bruder davontragen konnte. Wir müssen also davon ausgehen, dass auch du ihm damals nicht gewachsen gewesen wärst. Mit deinem Tod wäre auch die Hoffnung gestorben, dass sich die Weissagung durch dich erfüllen könnte.“
Xerus schüttelte unwillig den Kopf. „Meine Magie ist mit den Jahren gewachsen - und doch verstecke ich mich noch immer hinter dieser Geschichte von der Weissagung!“
„Wenn deine Kraft mit den Jahren gewachsen ist, hat sicher auch die Kraft deines Bruders zugenommen. Du magst nicht an Orakel, Weissagungen und Vorbestimmung glauben – ich jedoch glaube an all diese Dinge! Nehmen wir einmal an, diese Weissagung hat tatsächlich einen möglichen Pfad aufgezeichnet, wie dein Leben verlaufen kann. Wenn es dir zu schwer fällt, diesen als dir von den Göttern vorbestimmt zu akzeptieren, sieh diesen als einen von vielen möglichen Lebenspfaden, für den du dich aus freien Stücken entscheiden kannst. Wenn es dir nur mit der Hilfe einer Fremden möglich ist, die Schreckensherrschaft deines Bruders zu beenden, hast du gut daran getan, darauf zu warten, dass du dieser Fremden begegnest. Hilfreich wäre es, wenn uns der genaue Wortlaut dieser Weissagung bekannt wäre! Hast du nicht gesagt, dass diese aufgeschrieben wurde?“
„Laut den Grugandar soll es am Rande der Kieselwüste einen steilen Felsen geben, an deren Gipfel in einer Höhle die Weissagung in Form von Bildern festgehalten wurde“, antwortete Xerus zögernd. „Die Bilder könnten uns Aufschluss darüber geben, wie wir meinem Bruder seine zerstörerische Macht nehmen können. Der Felsen liegt einige Tagesreisen von hier entfernt. Allerdings befürchte ich, dass die Höhle selbst nicht mehr im Kernland liegt. Ich habe mich einmal auf den Weg dorthin gemacht, bin jedoch der Grenze des Kernlandes dabei so nahe gekommen, dass ich umkehren
Weitere Kostenlose Bücher