Das dunkle Herz Kashas
Eine Fremde, nicht im Kernland geboren, würde ihm dabei helfen, den Bruder zu besiegen. Ich weiß nicht, ob unser Vater diese Weissagung kannte. Falls sie ihm bekannt war, tat er nichts, um ihre Erfüllung zu verhindern oder zu begünstigen. Womöglich kannte er sie und ließ den Dingen ihren Lauf, um zu sehen, welcher seiner Söhne den Sieg davontragen würde. Es würde zu ihm passen. Unser Vater lehrte uns beide die schwarze Magie, die er praktizierte. Er zeigte uns, wie er sie nutzte, um die Kasha in Angst und Schrecken zu halten und seine Herrschaft zu sichern. Allerdings brachte er uns ebenfalls bei, was er über weiße Magie und Heilkunst wusste. Mir war die schwarze Magie und die Art und Weise, wie mein Vater von ihr Gebrauch machte, von Beginn an zuwider. Heimlich stürzte ich mich hingegen auf die Kunst der Weißmagier und las alles, was die Bücher meines Vaters darüber verrieten. Mein Bruder war jedoch ein eifriger Schüler der schwarzen Magie; gierig sog er alles darüber in sich auf und er beobachtete sehr genau, wie unser Vater diese einsetzte. Von der Weissagung erfuhr ich nicht bei den Kasha, sondern den Grugandar. Nachdem ich von ihnen fortgegangen war, zog ich mich in die dunklen Wälder des Kernlandes zurück. Doch auch in der Finsternis und Einsamkeit der Nebelwälder erreichte mich immer wieder die Kunde von neuen Gräueltaten meines Bruders. Wie einst unser Vater erhält er seine Macht über die Kasha mit schwarzer Magie, Schrecken und Gewalt. Er scheut weder vor Ausbeutung noch vor Magie um ihrer selbst willen zurück. Das zumindest erzählt man sich über ihn. Seit ich von der Weissagung erfahren habe, lastet auf mir das Gefühl mit für all das Schreckliche verantwortlich zu sein, gegen das ich nichts unternommen habe. Wenn ich geblieben wäre und mich meinem Bruder im Kampf gestellt hätte, anstatt zu fliehen und meine eigene Haut zu retten, wäre den Kasha vieles erspart geblieben. Doch zum einen war mein Bruder selbst für seinen Lehrmeister zu stark gewesen, zum anderen schreckte ich davor zurück, meinen eigenen Bruder anzugreifen... Stattdessen verstecke ich mich vor meiner Verantwortung und gehe meinem Bruder aus dem Weg. Immer wenn mein Gewissen mich so sehr gequält hat, dass ich dachte, es nicht länger ertragen zu können, habe ich versucht, es mit den Inhalten der Weissagung zu beruhigen. Ich redete mir ein, dass ich ohne die Fremde, von der in der Weissagung die Rede ist, ohnehin zur Niederlage verdammt wäre. Dass es das Richtige sei, auf diese geheimnisvolle Frau zu warten. Dass es ein Fehler wäre, meinem Bruder ohne diejenige entgegenzutreten, die mir helfen soll, meine Aufgabe zu erfüllen. Ich habe mir gesagt, dass niemandem geholfen wäre, wenn ich allein im Kampf gegen ihn sterbe, ehe diese Fremde meine Lebenspfade kreuzt. Und dann habe ich dich getroffen...“
Fassungslos sah ich in seine zweifarbigen Augen. „Du glaubst, ich könnte diese Frau sein? Ich bin weder eine Magierin noch eine Hexe!“
„Aber eine Kriegerin...“
„Eine Novizin des Gottes des Kampfes und der Kriegskunst“, korrigierte ich ihn voller Zweifel. „Versprich dir nicht zu viel von meinen Künsten.“
„Es tut mir leid, Lia. Ich hätte dir nichts von dieser Weissagung erzählen sollen. Ich kenne weder ihren genauen Wortlaut, noch bin ich sicher, dass an dieser Weissagung etwas Wahres ist. Vielleicht kann ich meinen Bruder nicht besiegen – ob mit dieser Frau oder ohne sie. Du hast Recht, wir können nicht mit Sicherheit sagen, ob du diese Fremde bist. Und ich bin nicht sicher, wie weit ich zu gehen bereit wäre, um die Herrschaft meines Bruders zu beenden...“ Xerus vergrub sein Gesicht in seinen Händen.
Ich ging zu ihm hinüber und legte meine Hand auf seine Schulter. „Ich kann verstehen, dass du mir von dieser Weissagung berichten wolltest. Immerhin betrifft sie – wenn du Recht hast – auch mich. Ich bin froh, dass du mir all dies erzählt hast. Es muss eine schwere Last für dich sein, dich für alles, was in der schwarzen Kieselwüste geschieht, verantwortlich zu fühlen.“
Xerus nickte leicht. „Das ist wahr. Aber ich hatte kein Recht, diese Last mit dir zu teilen. Selbst wenn du die Fremde bist, von der die Weissagung spricht, gibt mir das nicht das Recht, dich in die Belange des Kernlandes hineinzuziehen. Du bist nicht hier geboren. Du bist frei, zu gehen, wohin deine Füße dich tragen. Warum solltest du dein Leben riskieren, indem du dich mit dem Herrscher der
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