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Das dunkle Labyrinth: Roman

Das dunkle Labyrinth: Roman

Titel: Das dunkle Labyrinth: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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besser Bescheid. Und dazu is’ noch alles Mögliche von früher da: Kloaken, Rinnen, Keller, Tunnel und Pestgruben. Ein Teil davon stammt noch von den Römern. Da kann man nich’ einfach so drauflosgraben.« Sein Blick verlor sich in der Ferne. Hester konnte sich nur zu gut vorstellen, wie es für ihn sein musste, hier hilflos an einen Stuhl gekettet zu sitzen, während die Welt immer näher an ihn heranrückte. Er ahnte Unheil voraus und konnte nichts dagegen tun. Er erzählte ihr davon, weil sie ihn gefragt hatte und Sutton dabei war, aber er glaubte weder, dass es sie wirklich bekümmerte, noch dass sie helfen konnte.
    Seine Frau verlor die Geduld. »Warum sagst du ihnen nich’ gleich, wie’s war?«, fuhr sie ihn an und riss unwillig den Wasserkessel vom Feuer. Wenn sie beabsichtigt hatte, Tee zu kochen, hatte sie das inzwischen vergessen. Sie wandte sich an Hester. »Das war nämlich bei so einem Einsturz, dass mein Mann das Bein verloren hat. So ein dicker Balken is’ auf ihn draufgefallen. Und jeden Moment hätte die Grube einstürzen können! Da gab’s nur eines: ihn liegen lassen oder das Bein abnehmen und ihn raustragen. Und wenn sie jetzt weiter die großen Maschinen hernehmen, die den Boden umgraben und alles erschüttern, brechen früher oder später noch viel mehr Wände ein, und die Männer, die da unten sind, werden unter den Trümmern begraben. Und was, wenn wir wieder so einen Regen kriegen wie letzten Februar, und eine Flutwelle kommt? Wer holt die Männer dann raus, wenn so ein Kanal vollläuft, hä?« Ihre Stimme wurde immer wütender und schriller. »Ich kenn zig Frauen, deren Männer Arme und Beine an diese Scheißtunnel verloren haben. Und Witwen! Zu viele von diesen verfluchten Eisenbahnen sind auf Blut und Knochen gebaut!«
    »Unfälle hat es schon immer gegeben«, sagte Hester zögernd. »Gibt es denn Unternehmer, die besonders schlimm sind?«
    Collard schüttelte ruckartig den Kopf. Sein Gesicht verfinsterte sich. »Nich’ dass ich wüsste. Klar gibt’s Unfälle, und kein Hahn kräht danach! Man arbeitet schwer, man riskiert sein Leben. Und die Frau meckert rum, weil’s für sie auch nich’ gerade leicht is’. Da isses egal, ob man Bergmann, Seefahrer oder sonst was is’.« Er sah Hester mit einem freudlosen Grinsen an. »Und für’nen Soldaten isses bestimmt auch kein Zuckerschlecken, was?«
    »Nein«, bestätigte sie. »Was genau bereitet Ihnen Sorgen?«
    Das Lächeln verschwand. »Ich bin mehr als besorgt, Miss. Ich hab richtig Angst! Sie haben haufenweise neue Kanäle gebaut, aber daneben werden natürlich auch noch die meisten alten benutzt. Da braucht es nur ein, zwei Erdrutsche oder Einstürze, und schon sind die Leute unten eingeschlossen. Aber Ertrinken wär noch gar nich’ das Schlimmste – sie könnten verbrennen.«
    »Verbrennen?«
    »Das Gas. Durch die Kloaken verlaufen auch die Gasleitungen für die Häuser. Da braucht nur mal der Lehm in Bewegung geraten und eins von den Rohren platzen, und beim ersten Funken fackelt nich’ bloß das Gas da unten ab, sondern auch jedes Haus, was Gaslicht hat. Verstehen Sie jetzt, was ich meine?«
    Hester verstand nur zu gut. Wenn er Recht behielt, drohte eine Feuersbrunst, schlimmer als die von 1666, die damals halb London vernichtet hatte. »Aber daran hat man doch sicher gedacht«, murmelte sie. Anders konnte es nicht sein. Niemand war so verantwortungslos, dass er auf Maßnahmen zur Verhütung einer solchen Katastrophe verzichtete! Dass schon einige Arbeiter ertrunken oder erstickt waren, konnte sie glauben. Sie musste an das Unglück bei der Fleet-Kloake denken, als die Decke eingestürzt war. Die Stützbalken im Gerüst waren wie Streichhölzer durch die Luft gewirbelt worden, woraufhin das ganze Gewölbe in sich zusammengefallen war, die Erdmassen in Bewegung geraten waren und alles zermalmt und begraben hatten.
    Sutton beobachtete sie ebenfalls. »Sie erinnern sich an die Fleet-Kloake?«
    Sie starrte ihn verblüfft an. Natürlich hatte sie nicht vergessen, was er ihr über die Legenden seines Vaters vom Fluss Fleet im Londoner Untergrund erzählt hatte. Jetzt begriff sie, was es damit auf sich hatte. Er hatte das ganze Geflecht von fließenden Gewässern beschrieben, die unablässig das Bett wechselten, überliefen, in tieferen Schichten versickerten. »Weiß denn nicht jeder darüber Bescheid?«, fragte sie ungläubig. »Das ist ja...«
    Die Antwort gab ihr Lu Collard. »Natürlich wissen sie’s, Miss. Aber wer will

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