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Das dunkle Labyrinth: Roman

Das dunkle Labyrinth: Roman

Titel: Das dunkle Labyrinth: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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des Schmerzes heran, weil er zu tief saß und von zu vielen Narben verdeckt wurde.
    Das alles wollte sie vor Monk verbergen. Am Schatten in seinen Augen, an den Linien seiner Lippen erkannte sie allerdings, dass er spürte, was in ihr vorging: Er verfolgte den Fall Havilland zumindest teilweise auch deshalb so intensiv, weil er unentwegt an Hester dachte. Er reagierte auf das alte Unrecht ebenso wie auf das neue.
    Sie hätte ihn gerne angelächelt und ihm versichert, dass es nicht mehr so wehtat. Aber sie wollte nicht lügen. Und der Schmerz nahm in der Einsamkeit des Hauses sogar noch zu, wo es nur die tägliche Hausarbeit gab, aber keine echte Herausforderung, nichts, wogegen sie kämpfen konnte. So berührte sie einfach nur seine Hand. Sie wollte ihm nahe sein, ohne etwas zu sagen. Worte waren nicht nötig. Bisweilen störten Erklärungen nur das Einverständnis.
     
    Am nächsten Morgen besuchte sie einen Herrn, den sie einmal während einer schweren Erkrankung gepflegt hatte. Es freute sie, ihn gut erholt zu sehen, auch wenn er jetzt schneller müde wurde als früher. Der Hauptgrund ihres Besuchs war freilich, von ihm zu erfahren, welcher Parlamentsabgeordnete ihr bezüglich der Bautechnik und der gesetzlichen Regelungen beim Bau der neuen Abwasserkanäle Auskunft geben konnte.
    Sie verließ ihren ehemaligen Patienten in der Überzeugung, dass die geeignetste Persönlichkeit fraglos Morgan Applegate war. Und sie hatte sogar ein freundliches Empfehlungsschreiben in der Tasche, weshalb sie auch sofort vorgelassen würde.
    Da sie schon ihre besten Kleider trug, die zufälligerweise auch ihre wärmsten waren, brauchte sie nicht mehr nach Hause zu gehen, sondern kaufte sich bei einem Straßenhändler einen Imbiss – was ihr in letzter Zeit fast schon zur Gewohnheit geworden war. Am frühen Nachmittag stand sie vor dem Haus des Parlamentsabgeordneten Morgan Applegate.
    Die Tür wurde von einem kleinen, reichlich beleibten Butler geöffnet, der das Empfehlungsschreiben mit einer Verbeugung entgegennahm. Er führte sie in ein vornehmes Frühstückszimmer, wo ein Feuer im Kamin prasselte und einen rotgoldenen Schein auf die polierten Möbel und die kupfernen Kugeln warf, die ein reizvolles Kamingitter zierten.
    Es dauerte eine Viertelstunde, bis Morgan Applegate sich zeigte. Er war ein äußerst sympatisch aussehender Mann von mittlerer Größe, dessen markantes Gesicht mild wirkte, obwohl ihm schon auf den ersten Blick anzusehen war, dass er einen scharfen Verstand hatte. Er hatte schütteres hellblondes Haar und war glatt rasiert.
    Nachdem er Hester höflich begrüßt und ihr einen Stuhl angeboten hatte, erkundigte er sich, wie er ihr helfen könne.
    Sie erzählte ihm von ihrem Besuch beim Tunnel, ohne Suttons Namen oder Tätigkeit zu erwähnen.
    Er schnitt ihr mitten in ihren Ausführungen das Wort ab. »Mir ist dieses Problem bekannt, Mrs. Monk.«
    Sie fühlte sich jäh ernüchtert. Vielleicht war es naiv von ihr gewesen zu erwarten, er würde sich eines derart heißen Eisens annehmen. Überall herrschte noch die Angst vor dem Typhusfieber, und seit Prinz Albert daran gestorben war, lebte die Königin in verzweifelter, fast unbeherrschbarer Trauer. Wenn Applegate hoch hinauswollte, war er wohl kaum bereit, seine Karriere aufs Spiel zu setzen, indem er eine Meinung verkündete, die zwangsläufig viele verärgern oder verletzen musste.
    »Mr. Applegate«, sagte Hester ernst, »mir ist durchaus bewusst, wie dringend eine neue, wirkungsvolle Kanalisation benötigt wird. Ich habe auf der Krim Männer gepflegt, die an Typhus starben, und das ist etwas, was ich mein Leben lang nicht vergessen oder leicht nehmen werde. Aber wenn Sie gesehen hätten, welche Gefahren...«
    »Mrs. Monk«, unterbrach er sie erneut und beugte sich in seinem Stuhl vor, »ich bin über diese Angelegenheit informiert, weil mich eine Person darauf aufmerksam gemacht hat, die wegen einer möglichen Katastrophe noch beunruhigter war als Sie. Sie hat ihre ganze Zeit und Aufmerksamkeit dafür geopfert und, wie ich fürchte, vielleicht auch ihren Verstand.« Seine Miene war sehr ernst, und seine Augen verrieten tiefen Schmerz. »Meine Frau hielt große Stücke auf sie, und auch ich war sehr beeindruckt von ihr.«
    »Sie waren ?«, fragte Hester erschrocken. »Was ist ihr zugestoßen?«
    Jetzt bestand kein Zweifel mehr an seiner Betroffenheit. »Das ist eine Angelegenheit, bei der ich einfach nicht weiß, was ich davon halten soll. Ich wurde nur in groben

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