Das dunkle Labyrinth: Roman
war es unumgänglich.
Monk benötigte einige Zeit, um herauszufinden, welchen Anteil die Gebrüder Argyll an diesem Projekt hatten. Zu seiner Überraschung war er beträchtlich, und es musste sie enorme Anstrengung gekostet haben, ihn zu erwerben, und sie waren zweifellos nicht bereit, etwas davon abzugeben. Ihnen gehörten insgesamt drei dicht beieinanderliegende Baustellen. An zweien wurde die offene Bauweise mit begehbaren Tunneln direkt unter der Oberfläche angewandt, wie bei der Baustelle, die Hester ihm beschrieben hatte, doch die eine Öffnung lag zu tief für diese Methode, bei der sie sich wie die Maulwürfe im wahrsten Sinne des Wortes unter London hindurchwühlten und Abertausende von Tonnen Erde und Gestein nach oben transportierten, die dann irgendwie entsorgt wurden. Der Grund, warum sie hier so tief hinuntermussten, waren die vielen Fließgewässer und Gasleitungen, die kreuz und quer unter der Erde verliefen und einstürzen oder durchbrechen konnten, wenn man das Erdreich abtrug, in das sie eingebettet waren.
Doch so intensiv Monk auch forschte, er fand einfach keine geeignete Karte, in der sämtliche alten Brunnen, Quellen, unterirdischen Bäche, alten Kanalrinnen, Kloaken und im Laufe der Jahrhunderte aufgegebenen Wasserwege verzeichnet waren. Lehm hatte die Eigenschaft, dass er rutschte. Es gab Arten von Erde, die Wasser aufsogen, und andere, die es abstießen. Manche alten Kanäle, die auf die Zeit der römischen Besetzung zurückgingen, hatten bis heute überlebt. Bei anderen war das Bett geborsten oder zusammengebrochen, woraufhin die Erde abgesackt war und das Abwasser sich seitwärts verschoben oder tiefer unten einen neuen Lauf gesucht hatte. Die Erde war etwas Lebendiges, das in einem steten Wandel begriffen war. Kein Wunder, dass Sutton, dessen Vater ein Tosher gewesen war und sämtliche unterirdischen Gewässer bis hin zum kleinsten Bächlein kannte, jetzt schreckliche Angst hatte, weil diese riesigen Dampfmaschinen die Erde erschütterten und unzählige Menschen dort unten gruben, schaufelten, hackten, herumliefen und alles durcheinanderbrachten, was sich seine eigene Ordnung geschaffen hatte.
Monk hatte Bedenken, Havillands Namen zu erwähnen, aber wenn er es nicht tat, würde er nichts Verwertbares in Erfahrung bringen. Er war froh, dass ihm seine Untersuchungen, die Autorität der Wasserpolizei im Rücken, viel leichter fielen als in seinen Tagen als unabhängiger Ermittler. Allerdings war es eine durch Wehmut getrübte Freude, denn allzu viele Vorschriften schränkten ihn ein, ja, fesselten ihn – von Freiheit konnte wirklich nicht die Rede sein, wenn er sich nach oben bei Farnham verantworten musste und in gewisser Weise auch nach unten bei Orme und den anderen Polizisten. Er konnte sie nicht führen, wenn es ihm nicht gelang, sie zu begeistern. Die bloße Tatsache, dass er ein Amt bekleidete, garantierte ihm nur vorübergehend Gehorsam, aber den Respekt und die Loyalität, auf die es ankam, musste er sich verdienen. Gelang ihm das nicht, würde er Durban nirgendwo ersetzen, außer in den Akten.
Seine Nachforschungen führten Monk in die Büros verschiedener Baufirmen, wo er sich ausführlich über alte Karten, frühere Grabungen, Wasserwege, die Bodenbeschaffenheit, Friedhöfe und Pestgruben informierte, kurz, über alles, was sich auf den Bau neuer Tunnel auswirken konnte. Dabei erwähnte tatsächlich einer von den Kartenzeichnern James Havillands Untersuchung.
»Und Miss Mary Havilland?«, fragte Monk.
»Die war mal bei mir«, erwiderte der Mann.
Monk war auf einmal wie elektrisiert. »Hat sie nur dieselben Fragen wie Mr. Havilland gestellt? Hat sie die Gründe für ihr Interesse erklärt? Hat es Sie denn nicht neugierig gemacht, dass eine junge Frau sich mit solchen Dingen befasst, sie sogar mit Feuereifer verfolgt?«
»Allerdings«, bestätigte der Zeichner. »Darum hab ich’s mir ja gemerkt. Sie hat mir gesagt, dass ihr Vater tot ist und dass jetzt sie alles tun will, was sie kann, um seine Arbeit zu Ende zu führen. Er war bei einer von den ganz großen Gesellschaften beschäftigt, der Argyll Company.«
»Hat sie Ihnen das auch gesagt?«
»Nein, das wusste ich schon. Dabei kannte ich ihn gar nicht, das heißt, nicht persönlich. Ich hatte ihn ein-, zweimal auf’ner Baustelle gesehen. Sah gar nicht gut aus. War ziemlich blass und schwitzte. Verstehen Sie, ich hab schon öfter Männer in diesem Zustand gesehen, wenn sie tief runter mussten. Hatten Angst davor, dort
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