Das dunkle Labyrinth: Roman
eingeschlossen zu werden. Und vor den Ratten im Wasser.« Er schüttelte sich. »Mag die Viecher auch nicht besonders.«
Monk fragte noch ein paarmal nach und notierte einige Einzelheiten. Schließlich bedankte er sich und ging.
Der Rest des Tages erbrachte nichts Neues. Mary Havilland war der Spur ihres Vaters zu einem halben Dutzend Baustellen gefolgt. Havilland hatte die Dampfmaschinen offenbar für sehr gefährlich gehalten, aber hatte er auch irgendetwas erfahren, das seinen Verdacht bewies?
Monk drehte und wendete diese Frage hin und her, als er an den Docks vorbei zum Revier zurückging. Es war inzwischen dunkel und nieselte. Der beißende Geruch der Tide stieg ihm in die Nase, aber daran gewöhnte er sich allmählich. Selbst das unaufhörliche Schmatzen des Wassers an den Ufermauern und den Steinstufen der Anlegestellen war zu einem vertrauten Geräusch geworden. Wieder dröhnten die Nebelhörner, und der Regen raubte ihm zunehmend die Sicht. Aus der Dunkelheit tauchten Lichter vor ihm auf, aber es war noch nicht Zeit abzubiegen.
Scuff kam ihm in den Sinn. Wo mochte er sich in einer Nacht wie dieser aufhalten? Hatte er etwas gegessen? Er hatte einen Unterschlupf, das wusste Monk, aber war es dort warm genug? Dann fiel ihm wieder ein, dass die Hauptbeute der Mudlarks Kohle war. Sehr oft warfen Leichterschiffer absichtlich Kohleklumpen für die kleinen Jungen ins seichte Wasser am Ufer. Vielleicht konnte er sich ein Feuer machen. Am Fluss – wie im Rest der Stadt – wimmelte es von Kindern, die sich alles, was sie zum Überleben brauchten, irgendwie zusammensammelten. Es war irrational, sich um einen einzelnen Jungen Sorgen zu machen.
Er zwang sich, seine Gedanken auf den Fall zu konzentrieren.
War Havilland auf etwas gestoßen, weswegen jemand seine Ermordung auf sich nahm, nur um es zu verbergen? Eher unwahrscheinlich. Bei Argyll hatte es keine schweren Unfälle gegeben. Zudem war Havilland selbst Ingenieur gewesen und hatte genau gewusst, was die großen Maschinen anrichten konnten, welche Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden waren und dass Argyll am allerwenigsten an Zeitverlust oder Unfällen gelegen sein konnte. Bei einem schlimmen Unglück konnten nicht nur Dutzende sterben, sondern das ganze Unternehmen wäre ruiniert.
Aber hatte Havilland denn wirklich etwas so Gefährliches entdeckt, dass jemand ihn deswegen ermordet hatte? Und war dann auch Mary umgebracht worden, nachdem sie seinen Spuren gefolgt und auf dieselben Tatsachen gestoßen war?
Oder war Havilland schlicht und ergreifend aus dem Gleichgewicht geraten und einer Zwangsvorstellung erlegen; hatte er sich eine Gefahr eingebildet, wo es keine gab? Waren die umgeleiteten Ströme und drohenden Erdrutsche bloß ein frei erfundener Vorwand, damit der Tunnel versiegelt wurde und er nicht mehr hinabzusteigen brauchte? War es am Ende möglich, dass er einen persönlichen Groll gegen Argyll hegte? Konnte es sein, dass Mary, die ihn abgöttisch liebte, seine Meinung geteilt hatte, bis irgendetwas sie gezwungen hatte, sich der Wahrheit zu stellen, sie das aber nicht ertragen hatte? Nur dass es in ihrem Fall noch viel schlimmer gewesen wäre: erst der Irrtum ihres Vater, sein Selbstmord, der Bruch ihres Verlöbnisses mit Argyll, die Entfremdung von ihrer Schwester, die Scham über ihre falschen Beschuldigungen – und dann auch noch der Verlust von allem, worauf sie sich in Zukunft hätte freuen können, einschließlich der finanziellen Sicherheit.
Hatte Toby ihr eine Wahrheit ins Gesicht geschleudert, die so grausam war, dass sie am Ende daran zerbrochen war? Hatte sie womöglich auf ihn eingeschlagen, um diese Wahrheit abzuwehren?
Es würde Hester treffen, wenn es so wäre. Unwillkürlich zuckte Monk zusammen, als er daran dachte, dass er ihr genau das vielleicht morgen oder übermorgen sagen musste.
Am nächsten Tag beschloss er, in den tiefsten Tunnel hinabzusteigen. Zur Not wollte er die Ingenieure mit der Gewalt seines Amtes dazu zwingen, ihm Zutritt zu gewähren.
Die Baustelle war wie ein riesiger Ameisenhaufen. Männer schoben Karren, gruben, hackten, drängten sich um den Eingang, an dem endlos Ladungen von Erde, Lehm, Steinen und Schiefer auf einer fünfzehn Meter langen Rampe ans Tageslicht gewuchtet wurden. Der Tunnel selbst erinnerte an das Tor zu einem Kohlebergwerk, das gerade so hoch war, dass ein Mann durchgehen konnte. Wenn erst einmal das Kanalbett gemauert war, würde er deutlich weniger Platz bieten. Dann wäre
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