Das dunkle Netz der Lügen
nichts. Aber das heißt nicht, dass ich ihm auf der Nase herumtanze.»
Finchen nickte. Sie bekam genug mit im Borghoff’schen Haushalt, auch die verliebten Blicke, die Lina und Robert sich manchmal noch zuwarfen. «Was soll ich nur mit Simon tun, Frau Borghoff?» Finchen schien wirklich verzweifelt. «Am liebsten würde ich ihn vor die Tür setzen, aber das geht doch nicht. Und schließlich sind wir beide Ihre Angestellten.»
«Du möchtest also, dass ich etwas unternehme?» Es war nicht das erste Mal, dass Lina Klagen über Simon hörte. «Otto hat Christian erzählt, es gäbe Tage, da überlässt ihm Simon fast die ganze Arbeit und verschwindet ins Wirtshaus.» Wenn Otto, der zweite Hausknecht, allerdings gewusst hätte, dass Christian es ihr erzählen würde, hätte er sicher geschwiegen. Aber auch Robert hatte von seinen Polizeidienern gehört, dass sein Hausknecht dann und wann schon am Vormittag in der Kneipe hockte und Karten spielte oder würfelte. «Ich werde dafür sorgen, dass man Simon auf die Schliche kommt, und daraufhin seinen Lohn kürzen. Das Geld bekommst dann du, um es zu sparen.»
«Danke», sagte Finchen. «Es ist jetzt erst einmal wichtig, dass etwas Geld für die Kinder zusammenkommt. Wir brauchen bei Ihnen ja nicht viel, aber Schuhe müssen sie im Winter haben.»
Lina sah sie zweifelnd an. «Denke nur nicht, dass das Leben mit Simon einfacher wird, wenn wir ihn zwingen, zu Hause zu bleiben, Finchen.»
Die nickte nur kummervoll.
Als Finchen gegangen war, wandte sich Lina Anna zu. Diesmal öffnete sie sogar eine Weile die Augen. «Frau Borghoff …», flüsterte sie.
«Ganz ruhig, Anna. Wir kümmern uns um dich. Hast du gesehen, wer dir das angetan hat?»
«Ich … Was ist denn passiert? Warum tut mein Kopf so weh?»
«Jemand hat versucht, dich zu töten, Liebes.»
«Mich … aber …»
Sie fragte nicht nach ihrem Kind, und Lina war froh darüber. «Kannst du dich erinnern, Anna? Wer hat dich geschlagen?»
«Nein. Nein.» Sie begann leise zu weinen. «Es tut so weh …»
«Streng dich nicht an. Es ist jetzt nicht so wichtig. Du wirst dich später erinnern.»
Lina ging hinaus und steckte den Kopf in die Küche, wo Frieda Jansen alleine saß. Der Bestatter hatte am Morgen einen kleinen Sarg gebracht, eine einfache Holzkiste, in die man Klein Walther gelegt hatte. Daraufhin war sein Vater im Wirtshaus verschwunden.
«Frau Jansen, bitte gehen Sie zu Dr. Feldkamp und holen ihn her. Anna ist wach.»
Frieda sah aus, als wäre sie nicht sehr erfreut über die gute Nachricht. Der Hass auf die Schwiegertochter saß wohl zu tief. Aber sie ging ohne Murren los.
Dr. Feldkamp hatte entschieden, dass man Anna nun zur Diakonie nach Duisburg bringen konnte, und der Bürgermeister hatte seinen bequemen Einspänner dafür zur Verfügung gestellt. Der Doktor selbst begleitete die Kranke, ein Polizeidiener fuhr die Kutsche.
So kam es, dass Lina wieder mit allen beim Abendessen saß. Sie beobachtete Zita, die sich ohne Schwierigkeiten in die Gemeinschaft eingefügt hatte. Ihre Arbeit war tadellos, sie hatte ein freundliches Wesen und spielte sich nicht in den Vordergrund.
Mit Missfallen nahm sie den Geruch von Bier und Tabak an Simon wahr, doch er schien seinen Pflichten heute trotzdem nachgekommen zu sein, denn Otto hatte den Nachmittag im gepachteten Garten verbracht und Beete für das Pflanzen von Gemüse vorbereitet, da es seit ein paar Tagen keinen Frost mehr gegeben hatte.
«Wir müssen etwas wegen Simon unternehmen.» Lina und Robert, beide erschöpft vom Tag, machten sich bereit für das Bett. Lina saß auf der Bettkante, und Robert half ihr aus den Schuhen, wie er es jeden Abend tat. Er stellte das Paar – feste Schnürstiefel, von denen einer erhöht war wegen ihres verkürzten Beines – ordentlich neben die Kommode.
Ruhig hörte er zu, was Lina ihm über das Gespräch mit Finchen erzählte.
«Wir sollten ihm den Lohn nicht wegen der vertrödelten Tage kürzen», sagte er dann. «Das macht ihn nur trotzig, und er wird das fehlende Geld von Finchen verlangen.»
«Soll er denn gar nicht bestraft werden?» Lina hatte ihr Nachthemd übergezogen und hinkte noch einmal hinüber zum Waschtisch, um ihr Haar zu bürsten und neu zu flechten.
«Wenn ein Polizeidiener ihn tagsüber in der Altstadt entdeckt, dann nehme ich ihn mir vor.»
«Das wird nichts nützen, er ist ein Sturkopf und wird weiter das Geld der Familie durchbringen.»
Robert nickte nachdenklich.
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