Das dunkle Netz der Lügen
«Du kannst ja Finchens Geld für sie und ihre Kinder bei Goldstein anlegen und es ihm nicht mehr auszahlen.»
«Ja, das wäre vielleicht einfacher, aber lernen wird er daraus nichts.» Lina schüttelte den Kopf. «Wer nicht arbeitet, sollte auch keinen Lohn dafür bekommen.»
Robert seufzte. «Du hast ja recht damit, und es ärgert mich auch, dass Otto oft für zwei arbeiten muss. Aber es wird großenUnfrieden stiften, und Finchen wird am meisten darunter leiden.»
«Ich denke, das weiß sie selbst. Und trotzdem hat sie um Hilfe gebeten.»
Plötzlich stand Robert hinter ihr und fuhr mit seinen Händen durch ihre langen tiefroten Haare, die bisher nur wenig Grau zeigten. Dann fanden die Hände ihren Weg zu ihren kleinen, festen Brüsten. «Bist du zu müde?», flüsterte er.
Lina drehte ihren Kopf zu ihm. «Nein. Müde ja, aber nicht
zu
müde.»
Sie bedauerte ein wenig, dass seine alte Rückenverletzung ihn in letzter Zeit vermehrt plagte, sodass er sie nicht wie früher einfach hochheben und ins Bett tragen konnte. Aber auch ohne jede Akrobatik war er der zärtlichste Liebhaber, den Lina sich vorstellen konnte.
Zita hatte Hermann gar nicht gesehen, da das Abendessen im Hause Borghoff lang und fröhlich gewesen war. Mit Erlaubnis von Frau Borghoff hatte sie ein Stückchen Butter, das in den nächsten Tagen ranzig zu werden drohte, mitnehmen dürfen. Sie hatte darauf geachtet, nicht zu viel zu bekommen, da sie wusste, dass Susanna und Grete und auch der Hausknecht Otto noch weitere Leute mit durchfüttern mussten. Aber niemand hatte ihr die Butter für zwei Schnitten Brot geneidet.
Sie legte sie in den kleinen Kasten und griff sich dann noch einmal ihr Umschlagtuch.
Weingart wartete schon in der «Laterne» auf sie. «Nun?», fragte er. «Was hast du für mich?» Sie brauchten sich nicht zu sorgen, dass irgendjemand ihr Gespräch mitbekam, denn in der Kneipe ging es hoch her. Ein paar junge Burschen, wohl Hilfsmatrosen, deren Schiffe ein paar Tage im Hafen ankerten, hatten ein dralles Schankmädchen auf einen der Tischegehoben und versuchten sie dazu zu bringen, ihre Röcke zu lüften. Das Mädchen – zwar kokett, wie es ihre Stellung erforderte, aber doch ehrbar – wehrte sich tapfer. Schließlich griff der Wirt ein und half ihr wieder herunter, den Burschen drohte er Hausverbot an, wenn sie sich nicht benähmen.
«Ich habe dich was gefragt», sagte Weingart.
Zita, die selbst schon als Schankmagd gearbeitet und dem Treiben mitfühlend zugesehen hatte, zuckte zusammen.
«Ich habe gerade erst angefangen, Uli. Immerhin durfte ich schon bei der Anprobe helfen. Und es waren die reichsten Frauen von Ruhrort da. Frau Haniel und ihre Tochter, aber die wohnt nicht hier.»
«Haniel, was? Gibt es da etwas zu holen?»
«Bestimmt, auch wenn die Damen nicht danach aussehen. Ganz schlichte dunkle Kleider, kein Schmuck außer einer kleinen Brosche und dem Ehering. Aber ihnen gehören ein großes Hüttenwerk und mehrere Zechen, Schiffe und Werften. Das haben zumindest die Mädchen erzählt. Und die Familie von Frau Borghoff scheint auch reich zu sein. Sie heißen Kaufmeister. Es ist hier vieles anders als in Wien oder Prag.»
«Das denk ich mir. Diese steifen Protestanten verstecken ihr Geld, statt es zu zeigen.»
«Ich werde etwas Zeit brauchen, Uli. Ich muss mich erst zurechtfinden und das Vertrauen aller gewinnen.» Und versuchen, meine Flucht zu planen, bevor der Greifer hier auftaucht, fügte sie in Gedanken hinzu.
«Sei vorsichtig. Schließlich geht da die Polizei ein und aus.» Zita wusste, es ging Weingart nicht um ihre Sicherheit, sondern nur um die ausspionierten Erkenntnisse.
«Ist der Mathis eigentlich hier?», fragte sie zaghaft.
«In Ruhrort? Nein. Aber er ist nicht weit. Willst du ihn treffen?»
Zita schüttelte den Kopf und hoffte, dass es nicht zu heftiggewesen war. «Weiß er denn, dass ich in dem Salon arbeite und nicht die Pepi?»
«Sicher weiß er das.»
Sieh an, dachte Zita. Auch Uli log. Der Greifer hasste es, wenn seine Pläne nicht genau befolgt wurden. Dass gerade sie die Stelle bekommen hatte, war sicher nicht in seinem Sinn. Aber Uli Weingart pflegte stets eigene Wege zu gehen, wenn er konnte. Solange sie ihm die gewünschten Auskünfte lieferte, würde der Greifer glauben, sie stammten von Pepi. Der Greifer, so viel war ihr jetzt klar, hielt sich in einer der umliegenden Städte auf. Nah genug, um schnell eingreifen zu können, aber weit genug weg, dass Weingart hier freie Hand
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