Das dunkle Netz der Lügen
nach unten gingen. Er ließ Hermann im Flur des anderen Hauses warten und ging in Linas Büro, wo sie das Geld aufbewahrte. Er hatte gerade die kurze Notiz für die Werksleitung verfasst und einen Thaler für Hermann aus Linas Schublade genommen, als Lina mit Antonie heimkam.
«Lina, das ist Hermann Demuth. Da unsere Ärzte heute nicht verfügbar waren, hat er Finchen versorgt.»
Hermann starrte Lina an.
«Geht es ihr gut?» Lina stellte ihren Stock in den Schirmständer.
Als sie auf ihn zuhinkte, schien er sich aus der Starre zu lösen. «Das werden die nächsten Tage zeigen», sagte er, äußerlich ruhig. «Wenn sie keine inneren Verletzungen hat, wird sie es überstehen.»
«Wo ist Simon?», fragte Lina Robert.
«Ich habe ihn ins Gewahrsam bringen lassen.»
«Es wird sich wohl kaum ein Richter finden, der ihn verurteilt», schnaubte Lina.
Robert nickte. «Aber ich kann ihn so lange im Gefängnisschmoren lassen, wie ich will. Und ich schwöre dir, ich lasse ihn dort verrotten, wenn Finchen etwas passiert.»
«Er wird sie nicht wieder anfassen, dafür werde ich sorgen, Robert!» Sie ging hinüber ins andere Haus, um nach Finchen zu sehen.
«Die hat Temperament», sagte Hermann und hatte wohl gar nicht bemerkt, dass er laut gesprochen hatte.
«Finchen ist mehr für uns als nur ein Hausmädchen, sie ist fast so etwas wie eine Tochter. Wenn sie das nicht überlebt …» Robert stockte. «Aber Sie haben sehr gute Arbeit geleistet.» Er gab Hermann den Thaler. «Das stimmt so.»
«So viel? Ich kann sicher noch acht Stunden im Werk arbeiten!»
«Nein, nein, das haben Sie sich verdient. Hier ist das Schreiben. Wenn Sie Probleme haben, komme ich auch persönlich zum Phoenix.»
«Das wird schon genügen. Ich lasse meine Tasche hier, Zita kann sie mit nach Hause nehmen.» Hermann stellte die Tasche ab und ging zur Tür.
«Danke nochmal, Herr Demuth.»
«Gern geschehen.»
Lina weinte, als sie Finchen sah mit all den Verbänden, dem geschwollenen Gesicht und den vielen Blutergüssen. Zita hatte versucht, ihr das inzwischen getrocknete Blut abzuwischen, doch Finchen war wieder wach und stöhnte bei jeder Berührung auf. Lina suchte ein Nachthemd, und gemeinsam mit Antonie zogen sie es ihr an, deckten sie vorsichtig zu und flößten ihr noch etwas Tee ein, den Antonie vorsorglich gekocht hatte.
Als sie fertig waren, fiel Linas Blick auf Zita. «Du hast versucht, ihn davon abzuhalten? Mein Mann hat das Antonie erzählt.»
«Es hat nur nicht viel genützt.» Zita begann plötzlich zu zittern. Die Erinnerung daran, wie Simon vor ihr gestanden hatte, machte ihr jetzt mehr Angst als eben. «Ich habe es nicht verhindern können.»
Ohne einen Augenblick zu zögern, nahm Lina Zita in den Arm. Stockend und unter Tränen, erzählte Zita in allen Einzelheiten, was passiert war. «Ich hätte ihn nicht dadrin einsperren dürfen!», schluchzte sie.
«Aber du bist nur eine kleine, zierliche Frau, Zita. Mehr konntest du nicht tun.» Lina tätschelte sanft ihren Kopf. «Ich glaube, wenn du nicht dazwischengegangen wärst, hätte es viel schlimmer kommen können.»
Zita hatte noch den Putzeimer endlich auskippen wollen, aber Antonie hatte das bereits für sie erledigt. Sie saßen zu dritt in der Küche, Maria, Antonie und sie. Maria hatte die Kinder auf Linas Geheiß in den Dachkammern oben zu Bett gebracht. Finchen sollte ihre Ruhe haben, und Maria war nicht weit weg von ihnen. Antonie war auf Linas Bitte hin zu Lohmann gelaufen und hatte einen großen Krug Bier besorgt. Der Chef und die Chefin hatten sich je ein Glas genommen, den Rest teilten sich das Hausmädchen und die Näherinnen.
Zita war völlig erschöpft. «Ich kann es immer noch nicht fassen, dass du Simon tatsächlich angegriffen hast», sagte Maria bewundernd. «Vielleicht hast du ihr damit das Leben gerettet.»
«Ich weiß nicht.» Zita nahm ihren letzten Schluck Bier. «Ich hätte besser überlegen müssen. Mich selbst in Sicherheit bringen, während Finchen und ihre Kinder noch dadrin waren …»
«Es hat doch sicher lange gebraucht, bis er die Tür eingetreten hatte», sagte Antonie ruhig. «Bis dahin hätte er sie sonst vielleicht schon totgeschlagen.»
Maria schaute, ob noch ein wenig Bier im Krug war, aber er war leer. «Ich habe heute Mittag schon so etwas geahnt. Aber Finchen hat ja nicht glauben wollen, dass er ihr etwas antut.»
«Das hätte ich auch nie gedacht. Zumindest nicht so.» Antonie blickte ausdruckslos in das dunkle
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