Das dunkle Netz der Lügen
sie ortsansässige Helfer.»
«Hier gibt es ja auch genug Lumpenpack.»
«Meine Herren», schloss Robert die Besprechung, «Sie machen jetzt Feierabend, und die Nachtschicht tritt ihren Dienst an. Morgen nach den Befragungen sehen wir weiter.»
An diesem Abend saßen Robert und Lina noch eine Weile in ihrem kleinen Salon. Lina hatte sich eine kniffelige Näharbeit aus der Werkstatt mitgenommen. Robert erzählte von den Diebstählen in der Stadt und dass sich seine Hoffnung zerschlagen hatte, auf eine Spur im Mord an Anna zu stoßen.
«Wenn diese Sache überhaupt mit den Dieben zu tun hat, dann sicher eher mit den großen Diebstählen», sagte Lina.
Robert runzelte die Stirn. «Was meinst du damit –
wenn
sie etwas damit zu tun hat?»
«Nun, wenn wir bei den vielen Morden damals etwas gelernt haben, dann doch, dass man nichts als gegeben hinnehmen sollte.» Lina feuchtete ein Fadenende an, um es besser einfädeln zu können. «Ihr habt gehört, dass sie bei offenem Fenster geschlafen hat, und seid immer davon ausgegangen, dass es Diebe gewesen sein müssten, die von Anna überrascht wurden. Was, wenn der Überfall ganz andere Gründe hatte? Und es gar keine Diebe gibt?»
«Wen hast du denn in Verdacht, Lina?»
Immer noch versuchte Lina, den Faden durch das Nadelöhr zu ziehen. «Wenn Anna nicht die einzige Ernährerin der Familie gewesen wäre, dann würde ich ihren Mann und die Schwiegermutter verdächtigen. Er fühlte sich ständig gedemütigt von ihr, und die Schwiegermutter hat sie ohnehin gehasst.»
Robert nickte. «Aber die beiden wären dumm, wenn sie Anna, von deren Lohn sie abhängig waren, getötet hätten.»
«Nicht immer spielt Klugheit bei diesen Dingen eine Rolle. Vielleicht war es auch Leidenschaft. Leidenschaft und Hass.» Lina ließ die Hände sinken. «Sie sagte doch ‹Walther›, kurz bevor sie starb.»
«Ich weiß nicht.» Robert runzelte die Stirn. «Bei solchen Verbrechen kommt man den Tätern gewöhnlich schnell auf die Spur. Und es war eindeutig nicht Walther Jansen, den du in Duisburg gesehen hast.»
«Ja, das ist wahr.» Verärgert legte Lina das Oberteil des Kleides weg. «Es ist zu dunkel.»
«Vielleicht ist es auch Zeit für eine Brille, liebe Frau.» Robert grinste unverhohlen. Auch wenn er auf einem Auge blind war – die Sehkraft des anderen ließ ihn noch nicht im Stich.
Aber Lina ließ sich nicht necken. «Ja, es besteht kein Zweifel daran, dass du mit einer alten Frau verheiratet bist.»
Robert stand auf und küsste Linas schön geschwungenen Nacken. «Ich würde dich gegen keine Jüngere eintauschen. Wenn ich an Cornelius denke und den Ärger, den diese Frau ihm macht! Er hat wirklich Besseres zu tun, als ein Haus neu einzurichten.»
Sofort fiel Lina wieder ihr Verdacht ein, dass Elise Cornelius mit Ferdinand Weigel betrügen könnte. Aber es war besser, darüber zu schweigen. «Lass uns zu Bett gehen, Robert», sagte sie.
«Ich gehe doch jeden Abend gern mit meiner alten Frau zu Bett.» Linas heftigen Rippenstoß steckte er mannhaft weg.
Obwohl Lina mit Unterstützung aller Hausangestellten und Aushilfen den Haushalt gut organisiert hatte, fehlte Finchen überall. Erst jetzt merkte Lina deutlich, wie viel Arbeit das Mädchen ihr im Laufe der letzten Jahre, während sie den Modesalon aufgebaut hatte, abgenommen hatte. Antonie, obwohl älter als Finchen, hatte sich ganz unter deren Kommandogestellt, und auch wenn sie sich bemühte, vieles selbständig zu entscheiden und Susannas Schwestern anzuleiten, es ging doch manches schief. Und gerade jetzt, in der letzten Woche vor dem Maiball, konnte Lina sich einfach nicht um alles kümmern.
Und trotz Christians Hilfe und des nachmittäglichen Aushelfens seines Sohnes war es vor allem Otto, der die Arbeit in dem großen Haus nicht mehr schaffte.
Als er sich wieder einmal erst um neun Uhr abends auf den Weg nach Hause machte, sagte Lina zu Robert: «Schluss jetzt. Wir werden ja ohnehin einen neuen Hausdiener einstellen müssen, also warum nicht gleich? Ich möchte nicht, dass Otto irgendwann vor Erschöpfung zusammenbricht.»
Bisher waren sie sich einig gewesen, dass Finchen erst wieder ein wenig stärker werden müsse, um zu verkraften, dass die Stelle ihres Mannes nun tatsächlich an jemand anders ging, aber es war klar, dass Otto dringend Hilfe brauchte.
«Ich gebe morgen eine Anzeige auf», sagte Lina.
«Sprichst du mit Finchen, oder soll ich es tun?», fragte ihr Mann.
Lina seufzte, aber dann entschloss
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