Das dunkle Netz der Lügen
noch lohnt», sagte Ebel, als sie sich wieder einmal am Rande des Marktes trafen. «Wenn es so regnet, werden immer weniger Leute auf dem Markt sein. Und es ist schon bald Mittagszeit.»
Borghoff nickte. Die Hausfrauen und Dienstmädchen mussten längst zurück in ihren Küchen sein, um das Mittagessen zu kochen.
Doch dann war die Volksschule aus. Ganze Horden von Kindern gingen über den Markt, die meisten machten sich aber schnell auf den Heimweg.
Plötzlich hörte man aus der einen Marktecke, ganz nah neben einer Dönbank, wo man schon früh am Tag Branntwein ausschenkte, Kindergeschrei.
Mit einem Blick erfasste Borghoff seine Leute, die von allen Seiten unauffällig in Richtung des Tumults gingen. Sie bildeten eine Art Ring um den kleinen Menschenauflauf, der sich um das schreiende Kind – diesmal war es ein Mädchen –kümmern oder doch zumindest gaffen wollte. Und dann griff der erste Polizeidiener in Zivil zu: Ein etwa achtjähriger Junge hatte einer Schiffersfrau geschickt ihre Geldbörse entwendet. Kurz darauf wurde eine Zehnjährige mit der Hand in der Jackentasche eines Arbeiters erwischt.
Robert hatte alle angewiesen, auch bei den Festnahmen möglichst unauffällig zu bleiben, damit eventuelle Komplizen nicht gewarnt wurden. Trotzdem gelang es einem älteren Jungen, zunächst zu entkommen, doch er lief Ebel direkt in die Arme.
Gleichzeitig wurde noch ein weiterer kleiner Taschendieb von Sergeant Recke festgenommen. Robert selbst kümmerte sich um die beiden kleineren Kinder, die das Ablenkungsmanöver begonnen hatten. Schließlich brachte die Polizeitruppe sechs Kinder und vier Geschädigte hinüber in die Neustadt zum Rathaus.
Als Robert sich die Kinder genauer ansah, kamen sie ihm bekannt vor.
«Nun?», fragte er. «Wie heißt ihr?»
Zunächst schwiegen alle.
«Da unten im Keller gibt es ein Gefängnis», erklärte er ihnen. «Wenn ihr mir nicht sagt, wer ihr seid und wo eure Eltern sind, dann werde ich euch leider hier festhalten müssen.»
«Beermann», sagte die Zehnjährige, die wohl das älteste Mädchen war. Dafür erhielt sie von dem etwa vierzehnjährigen Jungen einen Rippenstoß.
«Euer Vater ist der Schlosser, der jetzt bei meinen Schwägern arbeitet …»
Das Mädchen nickte. «Wir haben nicht genug zu essen, obwohl Vater eine gute Arbeit hat.»
Robert sah sie scharf an. «Aber ihr macht das doch nicht zum ersten Mal, oder? Das habt ihr doch sehr gut geplant und organisiert.»
«Wir sind noch nie erwischt worden», sagte eines der kleineren Mädchen.
«Schröder, bringen Sie sie hinunter ins Gewahrsam. Und dann ziehen Sie sich Ihre Uniform an und schaffen die Eltern her. Der Vater arbeitet in der Gießerei in Hochfeld», ordnete Robert an.
«Was passiert mit den Rackern?», fragte Kramer.
«Ich fürchte, sie werden angeklagt. Das wird keine schöne Sache.»
«Aber das sind doch Kinder …»
«Vor ein paar Jahren sind mal drei Jungen in ein Kohlenlager eingebrochen», erzählte Ebel. «Damals wollte der Staatsanwalt ein Exempel statuieren. Sie wurden zum Tode verurteilt. Ein paar Monate später hat man das Urteil abgemildert, aber für Halbwüchsige war das Zuchthaus sicher auch nicht viel besser.»
«Warten wir mal ab, bis wir die Eltern hier haben. Wenn sich herausstellt, dass sie etwas damit zu tun haben, dann werden wohl eher sie zur Rechenschaft gezogen», sagte Robert, dem der Gedanke, Kinder ins Gefängnis zu schicken, auch nicht behagte.
Wenig später kam ein Polizeidiener mit der Mutter der Kinder, und nach einer Stunde war auch der Geiger Beermann, den man in der Gießerei in Hochfeld hatte abholen müssen, im Rathaus eingetroffen. Robert befragte die beiden getrennt voneinander. Schließlich nahm er sich noch einmal die Kinder vor.
«Beermann behauptet, er hätte nichts davon gewusst», sagte er zu Ebel. «Und ich glaube, er sagt die Wahrheit. Bei seiner Frau sieht es allerdings anders aus. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie hinter der Sache steckt. Es wäre gut, wenn sie gestehen würde, dann könnten wir die Kinder wenigstens da raushalten.»
«Sie meinen, die Frau hat die Diebstähle geplant?», fragte Ebel.
«Vermutlich. Sie verlässt sich darauf, dass den Kindern nichts passieren wird, aber da irrt sie sich.»
«Überlassen Sie das mir», sagte Ebel. «Sie können sich ja die Kinder noch einmal vornehmen, vielleicht sagen sie dann die Wahrheit.»
«Nein.» Robert war schon an der Treppe, denn Beermann war oben in einem kleinen Zimmer
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