Das dunkle Netz der Lügen
Lina hatte eigentlich eine protzigere Einrichtung erwartet, aber sie musste zugeben, dass Elise sie überrascht hatte.
«Frau Borghoff! Ist der Salon nicht hübsch geworden?», begrüßte sie Elise. «Und Ihre Vorhänge passen so gut hinein!»
«Ja, liebe Frau von Sannberg, der Raum ist Ihnen außerordentlich gut gelungen.»
«Wollen wir uns nicht setzen?», fragte Elise. «Rose kann uns einen Kaffee bringen …»
«Nein, ich habe leider nicht viel Zeit.»
«Es ist doch nichts mit meinem Kleid passiert?» Sie gehörte auch zu denjenigen Kundinnen, die noch ganz spät ein neues Kleid bestellt hatten, obwohl sie ihres, das Lina genäht hatte, bisher nur bei privaten Feiern getragen hatte.
«Nein, nein», beruhigte Lina sie. «Es ist leider eine etwas unangenehme Sache, aber sie liegt mir auf der Seele.»
«Dann sollten wir uns doch erst recht setzen, liebe Frau Borghoff», sagte Elise und führte sie zu einem der kleinen Sessel. Sie selbst nahm auf dem Sofa Platz.
«Ich habe doch gestern die Vorhänge vorbeigebracht. Und da … da konnte ich leider nicht umhin, den Streit mit anzuhören, den Sie und Herr Weigel hatten. Sie schienen mir sehr vertraut miteinander …»
Aus Elises Gesicht war die Farbe gewichen. «Das ist … das ist mir sehr peinlich. Es tut mir leid.»
«Ich kann verstehen, dass Ihnen das unangenehm ist. Aber ich möchte Ihnen versichern, dass das – zumindest erst einmal – unter uns bleibt. Aus dieser Vertrautheit zwischen Ihnenbeiden, liebe Frau von Sannberg, könnte man leicht schließen – verzeihen Sie mir bitte meine Direktheit –, dass etwas Ungehöriges vor sich geht.»
Langsam wurde Elise rot. «Was erlauben Sie sich!», stieß sie hervor.
«Ja, ich erlaube mir recht viel, Sie darauf anzusprechen. Aber Cornelius ist mein Freund …»
«Er ist doch wohl mehr als das», bemerkte Elise spitz.
«Trotzdem waren wir nie so vertraut wie Sie mit Herrn Weigel.» Lina seufzte. «Ich will Sie nicht angreifen. Ich will Ihnen nur die Wahl lassen, mit Ihrem Mann über Herrn Weigel zu sprechen und ihm die Möglichkeit zu geben, ihn aus Ihrer Nähe zu entfernen, bevor es einen Skandal gibt.»
«Was für einen Skandal denn? Sie haben doch keine Ahnung … Warum mischen Sie sich da ein?»
«Wie Sie eben schon bemerkten, sind Cornelius und ich sehr gute Freunde. Es dürfte Sie vielleicht überraschen, aber es hat eine Zeit gegeben, da hätte ich an Ihrer Stelle sein können. Aber damals war ich schon meinem Mann begegnet, und deshalb lehnte ich ab. Trotzdem liegt mir Cornelius’ Glück sehr am Herzen. Er hat es nicht verdient, dass man ihn hintergeht.»
Betroffen sah Elise auf den Boden. «Ja. Er ist ein guter Mann, wenn Sie das meinen.»
«Liege ich denn so falsch mit meiner Vermutung, dass Sie Gefühle für Herrn Weigel hegen?»
«Dazu sage ich nichts.» Elise sah sie immer noch nicht an.
«Das genügt mir. Armer Cornelius!» In Lina stieg wieder ein wenig von der Wut auf, die sie am Abend zuvor gespürt und die sie um den Schlaf gebracht hatte.
«Dies ist eine sehr kleine Stadt», fuhr Lina fort. «Man muss sehr aufpassen, was man hier tut.»
Sie stand auf. «So, ich habe gesagt, was es zu sagen gab.»
«Und …» Elise zu ihr hoch. «Was werden Sie jetzt tun? Werden Sie zu Cornelius gehen?»
«Das hängt ganz von Ihnen ab, Frau von Sannberg. Sie haben die Wahl. Wenn Sie eine mutige und aufrichtige Person sind, dann werden Sie Ihrem Mann selbst davon erzählen. Aber ich würde Sie auch nicht tadeln, wenn Sie die Angelegenheit ganz diskret lösen und dafür sorgen, dass Sie Herrn Weigel nicht mehr wiedersehen.»
«Und wenn nicht?»
«Vorerst werde ich Cornelius nichts über meinen Verdacht sagen. Aber warten Sie nicht zu lange mit Ihrer Entscheidung. Denn irgendwann müssen Freunde einander die Augen öffnen.»
Elise schien sich wieder gefangen zu haben. «Ist das eine Drohung?», fragte sie kühl.
«Nein, nur ein guter Rat.» Ohne ein weiteres Wort drehte Lina sich um und ging. Ihre Wangen glühten.
Es war Sonntag, aber das Haus Borghoff summte wie an einem gewöhnlichen Werktag. Alle Angestellten waren da und gingen ihrer Arbeit nach, selbst Otto und sein Sohn holten noch ein paar Aufgaben nach, die im Laufe der Woche liegengeblieben waren.
Robert hatte Ebel zu sich bestellt. Sie saßen im Salon und arbeiteten die Berichte durch, die die Polizisten von den Opfern auf dem Altstadtmarkt gesammelt hatten. Es fand sich schnell eine Gemeinsamkeit bei
Weitere Kostenlose Bücher