Das dunkle Netz der Lügen
Brief geschrieben, denn ich habe das Geld nun fast zusammen, weiß nur noch nicht, wie ich es nach Coesfeld schaffen kann. Vielleicht gibt er uns den Aufschub, und du kannst den Kotten und das Stück Land behalten. Er ist doch alles, was Dir und mir geblieben ist! Ich habe Hans nichts von alledem gesagt, aber er wundert sich schon, wo das ganze Geld bleibt», las Ebel. Hier brach der Brief ab. Er ließ das Blatt sinken. «Na, wenn das kein Beweis ist …»
Robert nahm den Brief. «Ich werde sie noch einmal verhören.»
«Und den Besuch bei den Hehlern in der Altstadt kannich mir jetzt ja wohl sparen.» Ebel raffte das Geld und den Schmuck vom Bett zusammen und folgte Robert durch die Tür.
Drei Stunden später war der verletzte Arbeiter auf dem Weg nach Duisburg. Dr. Havemann und Hermann Demuth hatten ihm das Bein knapp oberhalb des Knies abgesägt, die Wunde ausgebrannt und vernäht. Die Beschaffenheit der Wunden hatte leider keine andere Möglichkeit zugelassen.
Havemann hatte sein Handwerk beim Militär gelernt, er kannte sich aus mit Amputationen. Er und Hermann hatten Hand in Hand gearbeitet und den Stumpf am Ende sorgfältig verbunden. Beide wussten, dass die Überlebenschancen des Mannes nur gering waren, bei solch großen Wunden drohten jede Art von Wundbrand und Blutvergiftungen. Und dann war noch die Frage, ob er den Blutverlust verkraften würde. Doch sie hatten getan, was sie konnten, nun war es an den Diakonissen von Duisburg, ihn wieder gesund zu pflegen.
Havemann war ein großer, kräftiger Mittvierziger mit einem angegrauten Backenbart und Brille. Während draußen langsam die Sonne aufging, saßen er und Hermann in seinen bescheidenen Privaträumen in der Altstadt bei einer Flasche Wein.
«Sie sind ein guter Arzt, Herr Demuth. Warum um alles in der Welt arbeiten Sie in einem verdammten Stahlwerk?»
«Ich habe meine Gründe», wich Hermann aus. Er sah auf seine bandagierte Hand.
«Puddeln werden Sie damit eine Weile nicht können.»
«Ja.» Ein paar Tage Verdienstausfall würde er schon verkraften, und wenn Zita weiterhin Lebensmittel von ihrer Arbeitsstelle mitbrachte und ihren Mietanteil bezahlte, könnte er die Wunde gut ausheilen lassen.
«Ich will Sie zu nichts überreden, aber Direktor Hüffer hatte mir eine Stelle als Werksarzt angeboten. Ich habe abgelehnt,denn er zahlt lausig. Aber deutlich mehr als ein Arbeiter verdienen Sie da schon.» Havemann stand auf und streckte sich. «Sie haben doch Papiere, oder?»
Hermann nickte.
«Ich weiß nicht …», sagte er. Auch er hatte sich aus dem Sessel erhoben. Es war Zeit, nach Hause zu gehen.
«Hüffer wird Sie bestimmt fragen.»
«Ich überlege es mir. Danke für den Wein, Dr. Havemann.»
«Danke für Ihre Hilfe, Dr. Demuth.» Er deutete eine kleine Verbeugung an. «Verschwenden Sie Ihr Talent nicht am Puddelofen.»
«Aber ich bin ein sehr guter Puddler!», grinste Hermann und verabschiedete sich.
Werksarzt auf dem Phoenix! Es war verlockend. Genug zu verdienen, um mehr als dieses kleine, dreckige Zimmer bezahlen zu können. Keine Nachtschichten mehr. Wieder als Arzt arbeiten. Heute hatte er sie wieder gespürt, die innere Spannung, wenn es darum ging, ein Leben zu retten, und die Genugtuung, wenn es gelang. Aber da war immer die Angst, dass der Greifer ihn leichter würde aufspüren können, wenn er wieder in seinem Beruf arbeitete.
Er war völlig übermüdet, trotzdem machte er sich noch einmal auf den Weg zum Werk, um sich krankzumelden.
In der Verwaltung hatte man schon von seiner heldenhaften Tat gehört. Noch in der Nacht hatte der Direktor angeordnet, dass ihm der gesamte Tageslohn ausgezahlt werden sollte, als Prämie für die Lebensrettung des Mannes.
«Bleiben Sie zu Hause und kurieren Sie Ihre Hand aus. Wenn Sie wieder arbeiten können, kommen Sie nachmittags vorbei. Der Direktor möchte Sie sprechen», sagte der Verwaltungsbeamte. «Weiß man schon, ob der Mann durchkommt?», fragte er dann.
«Das lässt sich bei Amputationen nie genau sagen», antwortete Hermann. «Am Hochofen wird er jedenfalls nie mehr arbeiten können.»
«Das ist bitter. Er hat eine Frau und drei Kinder unten in der Eifel.»
«Ja, das ist bitter, aber wenigstens bleibt ihm sein Leben. Darauf müssen wir hoffen», sagte Hermann und verabschiedete sich. Doch er hatte das Gefühl, es wäre fast besser gewesen, den Mann sterben zu lassen, als ihn zu einem Leben als Krüppel zu verurteilen.
Obwohl es schon spät war und Jette
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