Das dunkle Netz der Lügen
inne und presste seinen Mund auf den des Opfers, um ihm Luft einzublasen.
Die Männer sahen erstaunt zu, so etwas hatten sie bisher noch nicht gesehen.
«Hat einer von euch ein sauberes Hemd für den Feierabend dabei? Ein frischgewaschenes?», fragte Hermann ein wenig außer Atem, während er wieder den Brustkorb bearbeitete.
Einer der Männer meldete sich.
«Hol es!», befahl Hermann. «Und eine Decke dazu!»
Plötzlich rührte sich der Mann und schlug die Augen auf. «Mir ist so kalt», flüsterte er.
«Ganz ruhig. Ich weiß, du hast Schmerzen, aber du darfst dich jetzt nicht bewegen.»
Der Arbeiter kam mit einer Decke und dem frischen Hemd zurück. Hermann knöpfte es auf und legte es mit der Innenseite auf das verletzte Bein.
«Und was nun?», fragte der Vorarbeiter.
«Jetzt müssen wir auf den Arzt warten.»
«Wird er sterben? In meiner Schicht ist noch nie jemand gestorben.»
Hermann stand auf und zog ihn beiseite. «Halt dich ein bisschen zurück, er kann dich hören. Wenn er es überlebt, dann müssen sie ihm das Bein amputieren.»
Einige Zeit später kamen zwei Männer in einer kleinen Kutsche herangefahren. Es war Direktor Hüffer persönlich, und bei ihm war Dr. Havemann.
«Was ist mit dem Mann? Man sagte mir, er sei tot!», rief Hüffer.
«Nein, er lebt noch. Der Puddler hier hat ihn zurückgeholt.»
Dr. Havemann eilte zu dem Patienten, schlug die Decke beiseite und hob das Hemd hoch. «Das sieht böse aus.»
«Bringen wir ihn zur Diakonie nach Duisburg», schlug Direktor Hüffer vor.
«Entschuldigen Sie», sagte Hermann. «Aber je länger wirmit der Amputation warten, desto größer ist die Gefahr, dass er Wundbrand bekommt.»
Dr. Havemann nickte. «Wir bringen ihn in meine Praxis. Dort habe ich alles, was nötig ist.» Er wandte sich an Hermann. «Sie sind Puddler?»
«Eigentlich bin ich Arzt und Chirurg.»
«Das dachte ich mir. Würden Sie mir assistieren? Bei solch großen Wunden muss alles sehr schnell gehen.»
Hermann drehte sich zum Werksdirektor um, der nickte. «Gehen Sie ruhig mit Dr. Havemann. Immerhin haben Sie dem Mann das Leben gerettet.»
Havemann entdeckte, dass Hermann selbst verletzt war. «Nur eine kleine Verbrennung», sagte der.
«Ich werde sie versorgen. Sie haben da sehr gute Arbeit geleistet, lassen Sie uns zusehen, dass es nicht umsonst war.»
Ebel und Robert durchsuchten das ärmliche Zimmer der Beermanns und deren sämtliche Habseligkeiten äußerst penibel. Zunächst sah es so aus, als würden sie nichts finden. Es schien tatsächlich, als hätte die Familie das gestohlene Geld für ihren Lebensunterhalt ausgegeben.
«Beermann hat mir versichert, nichts gewusst zu haben», sagte Robert. «Die Kinder haben nicht nur Geld und Geldbörsen gestohlen, sondern auch kleinere Schmuckstücke. Bei wem könnte die Mutter diese Hehlerware verkauft haben?»
«Es gibt da zwei oder drei Altstadtwirte, aber mit solchem Kleinkram geben die sich nicht gern ab. Ein paar Broschen oder Anhänger, wie Hausmädchen sie tragen …» Ebel wirkte entmutigt. Er mochte das «Bettlerpack», wie er es nannte, nicht, aber die Kinder taten ihm leid, und auf die uneinsichtige Mutter hatte er inzwischen eine große Wut.
«Egal, Ebel, fragen Sie dort nach. Ich nehme mir die Kinder noch einmal vor.»
Ebel nickte. Als er sich anschickte, den Raum zu verlassen, stolperte er über eine lockere Bodendiele.
Er bückte sich und hob die Diele hoch. Darunter war ein Hohlraum, aber er war leer. «Das wäre ein gutes Versteck gewesen.»
Robert stimmte ihm zu. Dann kam ihm eine Idee. «Ebel, lassen Sie uns die Betten wegrücken. Vielleicht gibt es noch mehr lose Dielen.»
Sie schoben gemeinsam das eine Bett von der Wand. Und wirklich, darunter war mehr als ein Dielenbrett lose. Beim dritten, einem kleinen direkt an der Wand, wurden sie fündig: Ein alter Strickstrumpf barg alle Schätze der Beermanns. Robert leerte ihn auf dem Bett aus. Er zählte fast fünfzehn Thaler und fand alle Schmuckstücke, von denen in den Aussagen der Geschädigten die Rede gewesen war. «Viel von dem Geld hat sie nicht gebraucht für die Familie», sagte Robert.
«Nein, nur etwa vier Thaler», ächzte Ebel. Er lag auf dem Boden und tastete den Hohlraum unter der Diele gründlich ab. Triumphierend hielt er plötzlich ein Papier in der Hand. Es war ein angefangener Brief, adressiert an Frau Beermanns Mutter, Cläre Heseke in Coesfeld.
«Liebe Mutter, ich habe heute dem Bauern op den Hövel einen
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