Das dunkle Netz der Lügen
Beermann bereits in der Arrestzelle geschlafen hatte, ließ Robert sie zu seinem Schreibtisch bringen.
Sie gähnte verschlafen.
«Wozu haben Sie das Geld gebraucht, Frau Beermann?», fragte Robert.
Sie schien augenblicklich hellwach zu sein. «Das habe ich Ihnen doch bereits gesagt.»
Robert lächelte. «Vielleicht denken Sie noch einmal nach.»
«Es ist so, wie ich sagte.»
«Es ging also nicht um einen Kotten in Coesfeld?» Er zog den Brief aus seiner Uniformjacke. «Und Geld, das Ihre Mutter einem Bauern op ten Hövel schuldet?»
Sie war blass geworden. Robert legte den Brief auf den Tisch.
«Wir haben auch Geld gefunden und die Schmuckstücke, die den Leuten auf dem Markt gestohlen wurden. Unter der losen Bodendiele unter dem einen Bett, wo Sie es versteckt hatten.»
Jette Beermann schwieg und blickte auf den Boden.
«Ich habe eben nie Glück», sagte sie leise.
«Wie bitte?», fragte Robert.
«Zuerst heirate ich diesen Habenichts, dann habe ich die Brut am Hals, und der einzige Besitz, das Häuschen, in dem ich meinen Lebensabend verbringen wollte, wird mir auch noch weggenommen.»
«Dann geben Sie zu, Ihre Kinder zum Stehlen abgerichtet zu haben, um das Haus zu retten?»
Doch sie schwieg. Und nichts deutete darauf hin, dass sie es bereute, die Kinder in diese schlimme Lage gebracht zu haben.
Kurze Zeit später wurde Frau Beermann ins Gefängnis in der Kasteelstraße gebracht und Beermann freigelassen. Er war erleichtert, denn er konnte seine Kinder gleich mit nach Hause nehmen. «Sollte ich auch nur einen Einzigen von euch wieder bei einem Diebstahl erwischen», hatte Robert ihnen eingeschärft, «werde ich dafür sorgen, dass ihr alle ins Gefängnis wandert.»
Er wandte sich an Beermann. «Ihre Frau wird nach Wesel gebracht werden und dort vor das Schwurgericht kommen. Das tagt allerdings erst wieder im Oktober. Bis dahin dulden wir Sie und Ihre Kinder hier bei uns, aber nur, solange Sie der Stadtkasse nicht zur Last fallen. Danach müssen Sie Ruhrort verlassen.» Robert blickte ihn trotz seiner strengen Worte mitfühlend an.
Beermann war blass und nickte nur. Beim Gehen drehte er sich noch einmal um. «Dieses dumme Weib. Ich hätte in der Gießerei eine Vorarbeiterstelle bekommen können, Herr Messmer hatte gestern noch mit mir darüber gesprochen. Und wir hatten doch schon gutes Geld! Aber sie war so gierig …» Er stockte. «Danke, Herr Commissar, dass Sie die Kinder da herausgehalten haben.»
«Sehen Sie zu, dass sie zukünftig die Finger bei sich behalten. Beim nächsten Mal kann ich nichts mehr für sie tun.» Beermann nickte müde. Robert sah den grauen Gestalten nochlange nach. Das würde nicht einfach werden für den Vater, allein mit sechs Kindern.
Hermann kam später nach Hause als sonst, Zita war schon zur Arbeit gegangen. Die verbrannte Hand schmerzte ein wenig, aber es war zu ertragen. Er schlief wie ein Stein und schlief immer noch, als Zita nach einem langen Arbeitstag heimkam.
Vorsichtig rüttelte sie ihn wach, dann sah sie die verbundene Hand. «Was ist passiert?», fragte sie.
«Nur eine kleine Verbrennung, nichts Schlimmes», sagte er schlaftrunken, und dann erzählte er ihr, was passiert war. Auch von Havemanns Idee, er könnte Werksarzt werden, sprach er.
Zita wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Einerseits freute sie sich für Hermann, andererseits dachte sie daran, dass die Greiferbande in der Stadt war und er sich dadurch tatsächlich in Gefahr bringen könnte.
«Du musst wissen, ob es an der Zeit ist, wieder als Arzt zu arbeiten. Aber ich finde auch, dass du dein Leben nicht als Hüttenarbeiter verbringen solltest.»
Hermann lächelte. «Erst mal sehen, ob der Direktor mir den Posten wirklich anbietet. Jetzt habe ich ein paar Tage frei, damit ich meine Hand auskurieren kann.»
«Tut es sehr weh?»
«Nein, nicht sehr.»
«Dann solltest du deine Zeit genießen!»
«Das habe ich auch vor», sagte Hermann. «Ich dachte, wir könnten morgen Abend auf eine der Tanzereien in der Altstadt gehen.»
«Tanzen? Du und ich?» Zitas Augen leuchteten.
«Ich wüsste nicht, mit wem ich sonst gehen sollte.»
«Das würde ich so gern!», rief Zita, doch dann verdüsterte sich ihre Miene. «Ich habe kein Kleid …»
«Zieh deinen bunten Rock und die Bluse an, die deine Patroninso unpassend fand. Für einen Tanzsaal sind sie doch richtig!»
«Aber dann muss ich mir heute die Haare waschen –»
Hermann half ihr, warmes Wasser aus der Küche zu holen, und
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