Das dunkle Netz der Lügen
wenig später sah er zu, wie sie ihre dunklen Locken mit ein wenig Seife wusch, dann ein Ei hineinrieb und schließlich etwas Bier, das Hermann im Gasthaus holen musste, zum Spülen benutzte. Sorgfältig kämmte sie danach die Haare durch.
Dann saß sie, ein Tuch um den Kopf geschlungen, auf dem Bett und schaute ihn an. Hermann musste daran denken, wie er schon in Wien ihr glänzendes Haar bewundert hatte. Sie war wirklich eine sehr schöne Frau. Er senkte den Blick. «Ich bin hungrig», sagte er. «Hast du schon gegessen?»
Die gutgefüllte Lebensmittelkiste gab ein wunderbares Abendessen her. Das Brot war fast frisch, dick mit Butter bestrichen und mit Schinken belegt, den Antonie am Abend versehentlich zu viel aufgeschnitten hatte. Eine saure Gurke und ein hartgekochtes Ei hatte Zita Hermann auch mitgebracht und eigentlich mit zur Schicht geben wollen. Sie selbst aß nur wenig, da sie bereits bei den Borghoffs etwas bekommen hatte. Hermann konnte seinen Blick nicht von ihrem schön geschwungenen Nacken nehmen, den die Locken sonst meist verdeckten.
«Die anderen werden mich morgen beneiden», sagte er plötzlich.
Zita ertappte sich dabei, wie sie errötete.
8. K apitel
Die letzten zwei Kleider wurden am Dienstagmorgen ausgeliefert. Drei Damen kündigten sich mit kleineren Änderungswünschen an, die Lina nach kurzer Prüfung aber getrost ihren Näherinnen überlassen konnte. Sie selbst machte sich auf den Weg zu ihrer Schwester Guste, die einen ortsansässigen Friseur bestellt hatte, um den Damen der Familie – ihr selbst, ihren Töchtern Friederike und Emma, ihrer Schwiegertochter Beatrice, Schwägerin Aaltje und deren Tochter Elisabeth und natürlich auch Lina – die Ballfrisuren zu machen. Lina hatte sich zunächst gesträubt. Seit es Mode war, trug sie den schweren, tief angesetzten Nackenknoten im Haarnetz und gedachte auch, dies für den Ball beizubehalten. Aber Guste hatte sie dann doch überredet, sich eine aufwendigere Frisur machen zu lassen.
Da Geschäftsfrau Lina die wenigste Zeit hatte, kam sie auch als Erste an die Reihe. Der Friseur bewunderte gebührend ihr herrliches dunkelrotes Haar, das gelöst fast bis zur Hüfte reichte. Nach einer heftigen Debatte, in der sich Lina erfolgreich gegen Türme, Locken und andere in ihren Augen absurde Frisuren wehrte, blieb es schließlich bei dem leicht abgewandelten Nackenknoten. Lina hatte jedoch Bänder in den Farben ihres Kleides mitgebracht sowie ein mit gleichfarbigen Glasperlen verziertes Haarnetz. Der Meister frisierte ihr zudem eine sanfte Welle über der Stirn, die der Frisur dieStrenge nahm. Das Ergebnis gefiel Lina. Zu gern hätte sie weiter bei ihren Verwandten gesessen, Kaffee getrunken und geredet, aber das Geschäft rief.
Während in der Näherei am frühen Nachmittag langsam Ruhe einkehrte, hatte Christian im Laden so viel zu tun, dass Lina Maria bat, ihm zu helfen. Gefragt waren Spitzentaschentücher, kleine Handtaschen und Beutel, bestickte Seidenumschlagtücher und Handschuhe.
Erst spät fand Lina Zeit, sich um ihr eigenes Kleid zu kümmern. Sie hatte es schon vor Wochen ganz allein genäht, immer abends, wenn die Näherinnen nach Hause gegangen waren. Sonst trug sie meist Grün, das sehr gut zu ihrer dunkelroten Haarfarbe passte, aber diesmal hatte sie sich für zwei Violetttöne entschieden, einen dunklen, sehr kräftigen, und einen etwas helleren für die Akzente. Beides war schwere, glänzende Seide, wie Lina sie liebte.
Das Kleid hätte kaum schlichter sein können. Der Rock war glatt ohne jeden Volant oder andere Verzierungen, öffnete sich aber zur rechten Seite hin und gab den Blick auf einen fein gerafften helleren Stoff frei. Lina hatte einen solchen Effekt schon öfter benutzt, aber immer mittig und symmetrisch. Dies hier war neu, und sie war gespannt, ob es den Kundinnen gefiel und sie für spätere Bälle auch solche Röcke würde entwerfen müssen.
Das Oberteil war zwar weit ausgeschnitten, aber Lina, die gern kaschierte, dass ihr Gebrechen zu einer leicht hochgezogenen Schulter geführt hatte, trug meist etwas mehr Stoff als ihre Kundinnen. Diesmal hatte sie eine Art Kragen an der Schulterlinie angebracht, der, verstärkt mit Draht, ein wenig an ein Renaissancegewand erinnerte. Die Ärmel endeten kurz unter der Schulter, dazu gehörten lange Seidenhandschuhe.
Sie hatte ihre Schwester Guste, die als älteste Tochter denSchmuck der Mutter geerbt hatte, gebeten, ihr ein Amethyst-Collier zu leihen. Es war altmodisch,
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