Das dunkle Netz der Lügen
einkaufen.
Am Abend hatten die Kopfschmerzen tatsächlich nachgelassen, nicht zuletzt, weil Lina mit Todesverachtung reichlich Kaffee mit Zitrone getrunken hatte. Rose saß mit am Tisch bei der diesmal kleinen Abendbrotrunde.
Robert stieß erst später dazu, die Hausangestellten waren bereits fertig, stellten das Geschirr in den Spülstein und zogen sich dann diskret zurück. Er hatte großen Hunger und nahm gern Linas Angebot an, noch einen Rest Eintopf vom Mittagstisch aufzuwärmen.
Sie stand am Herd und rührte, damit er nicht anbrannte. «Robert, ich habe hier etwas für dich», sagte sie, und an der Art,wie sie es sagte, wusste Robert, wie unangenehm es ihr war. «Du weißt noch, neulich, als wir über meinen Verdacht gesprochen haben …»
«Elise von Sannberg und Ferdinand Weigel?»
Sie nickte. «Ich … ich konnte nicht anders. Cornelius ist unser Freund. Ich musste mich einmischen!»
Robert runzelte die Stirn: «Du hast Cornelius doch nichts gesagt?»
«Nein, nein. Es war mir schon klar, dass ich mit
ihm
nicht darüber reden konnte.»
«Sondern?»
«Ich bin zu seiner Frau gegangen, gleich am nächsten Tag. Ich habe sie vor die Wahl gestellt. Entweder sie beendet die Affäre, oder ich sage es Cornelius.»
«Das war direkt.» Es gab keinen Zweifel daran, dass Robert niemals so gehandelt hätte. «Und?»
«Sie hat die Affäre beendet. Das schreibt sie zumindest in diesem Brief hier. Er kam gestern an, aber ich habe ihn erst heute geöffnet.»
Sie hörte auf, in dem Topf zu rühren, und holte den Brief aus ihrer Rocktasche.
Schweigend las Robert, was Elise geschrieben hatte. «Da steht nicht, dass sie schon mit Weigel gesprochen hat. Sie hatte vor, es zu tun.»
«Und dann wird sie von Dieben getötet …», sagte Lina. Die Tatsache, dass sie Elise nicht gerade ins Herz geschlossen hatte, bereitete ihr ein schlechtes Gewissen.
«Es wurde zwar eingebrochen in das Haus, und all ihr Schmuck wurde gestohlen, trotzdem habe ich große Zweifel, dass es Diebe waren, die sie getötet haben.» Robert legte den Brief hin. «Dr. Feldkamp ist auch der Meinung, dass Diebe niemals so viel Blut vergossen hätten. Es waren achtzehn Messerstiche, Lina. Das sieht nach sehr viel Wut aus.»
Lina wurde blass. «Du meinst doch nicht, dass ich … mit meiner Drohung …»
«Lina, mach dir keine Vorwürfe. Du hast es doch nur gut gemeint.»
«Es kämen aber doch nur zwei Männer in Frage, oder?» Sie sah ihm direkt ins Gesicht. «Ferdinand Weigel und … Cornelius.»
«Weigel war gar nicht in Ruhrort. Er ist auf dem Gut in Moers. Ich habe jemanden dorthin geschickt, damit er morgen herkommt.» Er sah ihre angstgeweiteten Augen. «Lina, es ist doch gar nicht sicher, ob es nicht vielleicht doch die Diebe waren. Oder jemand ganz anders. Und du weißt, ich werde nicht ruhen, bis Cornelius entlastet ist, wenn er unschuldig sein sollte.»
«Du solltest nicht einmal denken, dass unser Freund so etwas tut!»
«Das muss ich aber, Lina. Das ist mein Amt.»
Aus dem Topf auf dem Herd stieg dunkler Rauch auf. Robert sprang auf, griff sich den Schürhaken und schob ihn vom Herd. Lina, die sich ein Tuch genommen hatte, stellte ihn in den Spülstein und goss etwas Wasser hinein.
«Tut mir leid. Ich mach dir ein Brot», sagte sie nur.
Hermann hatte am frühen Abend den Vorschlag gemacht, noch etwas spazieren zu gehen. Sie hatten den ganzen Tag in dem engen kleinen Zimmer gehockt. Zita hatte ein paar Sachen geflickt, und langsam war das Gespräch wieder in Gang gekommen. Ganz kurz hatten sie dabei die Zeit berührt, als Hermann die Bande verlassen hatte, aber da hatte er schnell das Thema gewechselt.
Wie alle Bürger Ruhrorts schlenderten sie gern Richtung Neustadt über die Dammstraße bis zur Fähre beim Hebeturm. Unterhalb lag die Mühlenweide mit ihren Lagerhäusern. MitKohle und anderen Waren beladene Eisenwaggons fuhren unter den Turm, wurden von den Maschinen angehoben und auf die Schiffspontons gesetzt. Die Passagiere betraten die Fähre über einen Steg, während auch die Waggons auf das Schiff gehoben wurden.
Eine Weile sahen sie schweigend zu, dann fasste sich Zita ein Herz. «Hermann, was ist damals passiert? Warum bist du mit deiner Familie weg aus Wien?»
«Ich bin nie mit meiner Familie weggegangen», sagte er leise. «Ich wollte es. Und der Greifer wollte das verhindern und hat Josefa und meinen Sohn einfach getötet.»
Zita sah ihn entsetzt an. «Aber Josefa hatte doch nie mit
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