Das dunkle Netz der Lügen
fragte er.
Zita schüttelte den Kopf. «Nein, aber es wird eine Gerichtsverhandlung wegen der Vormundschaft über ihre Söhne geben, so viel habe ich erfahren können.» Sie streichelte über seine Hand. «Es tut mir so leid wegen Josefa. Ich habe sie ja kaum gekannt, aber so furchtbar zu enden …»
«Er war es selbst», sagte Hermann. «Nicht Uli oder Loiserl. Er hatte Blutflecken auf seinem feinen weißen Hemd, und ichhabe es damals in seinen Augen gesehen – wie er die Leichen angesehen hat. Er hat es voller Lust getan. Er ist eine Bestie.»
«Ja, das ist er», sagte Zita leise und spürte plötzlich wieder den Schmerz zwischen den Beinen.
Es war dunkel geworden, und sie machten sich langsam auf den Heimweg. «Jetzt haben wir gar nichts zu essen gekauft!», rief Zita nach ein paar Schritten.
«Dann essen wir eben wieder Brot …»
«Nein. Ich laufe schnell zu den Borghoffs und frage, ob ich Kartoffeln haben kann und ein Ei. Heiz du den Ofen schon mal an.»
Zita hatte sich gewundert, dass ihr ein fremdes Hausmädchen öffnete, doch dann klärte Antonie, die gerade mit Rose die Küche aufräumte, sie auf. Der Mord an Elise von Sannberg hatte sich schnell in ganz Ruhrort herumgesprochen, doch Hermann und Zita hatten in ihrem kleinen Zimmerchen nichts davon mitbekommen. Als Rose erzählte, wie sie ihre Herrschaft gefunden hatte, war es Zita kalt den Rücken heruntergelaufen, und sie fühlte sich sofort daran erinnert, was Hermann über den Mord an seiner Frau erzählt hatte. Dann erwähnten die beiden Mädchen noch die Einbrüche und dass auch im Fall Elise von Sannberg vermutet wurde, dass die Diebe hinter dem Mord steckten. Und ich habe ihnen geholfen, fuhr es Zita durch den Kopf.
Antonie steckte ihr ein paar Kartoffeln und ein Ei zu und tat noch eine dünne Scheibe Speck dazu.
Als Zita es bezahlen wollte, schüttelte sie den Kopf. «Dann bekommst du einfach beim nächsten Mal etwas weniger», sagte sie.
Schnell machte sich Zita auf den Heimweg. Als sie gerade in der Altstadt angekommen war, zuckte sie plötzlich zusammen. Vor ihr in der Kasteelstraße ging ein sehr großer, breitschultrigerMann. Zita konnte ihn am Gang erkennen – es war Kellerer. Dann war er also höchstpersönlich mit auf dem Raubzug gewesen.
Zita wunderte sich, dass er die Stadt nicht längst verlassen hatte, dann erinnerte sie sich, dass Antonie etwas von Kontrollen an allen Wegen in und aus der Stadt erzählt hatte und dass die Mülheimer Landgendarmerie das Umland beobachtete. Wie üblich waren die Hausangestellten immer sehr gut informiert. Die Bande hatte Ruhrort also noch nicht mit ihrer Beute verlassen können.
Kellerer schien sich sehr sicher zu fühlen, denn er drehte sich zu Zitas Glück nicht einmal um. Ihr Herz klopfte bis zum Hals, aber sie musste erfahren, wo in der Stadt er sich verbarg, damit sie oder Hermann ihm nicht zufällig über den Weg lief. Sie vergrößerte den Abstand noch etwas und folgte ihm dann in die verwinkelte Altstadt.
Irgendwann bog er in eine kleine Gasse ein und war aus ihrem Blickfeld verschwunden. Zita beeilte sich hinterherzukommen, aber als auch sie in die Gasse hineinging, war zunächst nichts von Kellerer zu sehen. Dann tauchte er ganz am Ende noch einmal kurz auf und war plötzlich wie vom Erdboden verschluckt.
Vorsichtig näherte sich Zita dem Ende der Gasse, aber von Kellerer gab es keine Spur. Nur ein ganz schmales Gässchen, in dem keine zwei Menschen aneinander vorbeipassten, öffnete sich vor dem letzten Haus. Hier wird er hineingegangen sein, dachte Zita. Sie atmete ein wenig auf, denn die Milchstraße lag am anderen Ende der Altstadt. Gut, den Teufel weit weg von uns zu wissen, dachte sie.
9. K apitel
Am nächsten Morgen ging Robert noch vor Dienstbeginn zu den Messmers, die den Baron bei sich aufgenommen hatten. Er wusste, dass Bertram Messmer und Georg Kaufmeister oft sehr früh zur Gießerei nach Hochfeld fuhren, um sich dann am späten Vormittag ihrer Reederei und den Speditions- und Handelsgeschäften widmen zu können. Wie erwartet hatte Cornelius von Sannberg sich aus Höflichkeit den Gepflogenheiten des Hauses angepasst und saß mit Bertram und seiner Frau Guste am Frühstückstisch.
«Guten Morgen», begrüßte Robert seine Verwandten. «Ich wusste nicht, ob Cornelius vielleicht mit nach Hochfeld fährt, deshalb bin ich so früh.» Er wandte sich an den Baron. «Ich muss dich sprechen – unter vier Augen.»
«Geht doch ins Herrenzimmer», schlug Guste
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