Das dunkle Netz der Lügen
ihrem Mörder den Rücken zugedreht, und er stach ihr in den Rücken. Dann wird er sie auf das Bett geworfen haben, denn die anderen Stiche sehen so aus, als hätte er von oben zugestochen. Tödlich kann dieser Stich hier gewesen sein», er deutete auf die Herzgegend, «oder auch dieser hier in den Hals. Vermutlich der letzte Stich.»
Feldkamp sah Robert nachdenklich an. «Was geht Ihnen durch den Kopf, Herr Commissar?»
«Wenn ich ein Dieb wäre und eine Frau würde mich überraschen, würde ich sie auf diese Weise zum Schweigen bringen? Doch sicher nicht. Ich würde sie schnell und effektiv töten, ein, zwei Stiche, oder?»
Der Doktor nickte. «So etwas wie hier erwartet man eher, wenn großer Hass im Spiel ist. Oder große Leidenschaft. Dazu passt vielleicht, was ich noch gefunden habe.» Er deutete auf den blutigen Inhalt einer Schüssel. «Sie war schwanger, vermutlich im dritten oder vierten Monat.»
Robert runzelte die Stirn. Cornelius hätte seinen Freunden sicher erzählt, wenn er Vater werden würde. Er erinnerte sich an das, was Lina ihm über eine mögliche Affäre mit FerdinandWeigel erzählt hatte. Wenn das Kind nicht von Cornelius war, hätte sie es ihm vielleicht verschwiegen.
Rose war dankbar, dass sie nicht in dem Haus des Barons bleiben musste, auch wenn die Leiche inzwischen weggebracht worden war. Sie bezog eine der Dachkammern und fragte gleich, ob sie sich nützlich machen könnte. Da Lina sich in ihr Büro zurückgezogen hatte, teilte Finchen die Arbeit ein. Alle sollten es am heutigen Tag etwas ruhiger angehen lassen, und Antonie war froh, dass Rose ihr ein paar der Pflichten, die sich gar nicht verschieben ließen, abnahm.
Kopfschmerzgeplagt, wie sie war, überließ Lina Finchen den Laden, was diese auch mit gebrochenem Arm gut bewältigen konnte. Außer ein paar Schiffersfrauen, die Kurzwaren brauchten, ließ sich kein Kunde blicken. Auf ihrem Schreibtisch entdeckte Lina die Post, die sie gestern nicht mehr hatte durchsehen können. Ein paar Rechnungen waren dabei, zwei Nachmittagseinladungen und ein Brief von Clara Verwerth. Ganz unten in dem Stapel lag ein Brief aus feinstem Papier, der einen leichten Parfümduft verströmte. Er war mit dem Wappen des Barons versiegelt. Lina brach es und faltete das Blatt auseinander. Die Schrift hatte sie noch nie gesehen, flüssig, schwungvoll, mit ausnehmend schönen Großbuchstaben. Es war Elise von Sannbergs Schrift.
Meine liebe Frau Borghoff,
wie Sie sich sicher denken können, ist mir unser Gespräch neulich höchst unangenehm gewesen. Nicht allein wegen des heiklen Themas, sondern auch weil ich deutlich spüren konnte, wie sehr Ihnen das Wohl meines Mannes Cornelius am Herzen liegt. Ohne jeden Zweifel sind Sie ihm eine sehr gute Freundin, und nachdem mein Zorn und die Überraschung über Ihre Direktheit verflogen waren, kam mir bald in den Sinn, dass Sie auch als
meine Freundin gehandelt haben. Denn der Entschluss, mit mir zu reden, ist Ihnen sicher nicht leichtgefallen. Und deshalb glaube ich, Ihnen eine Erklärung schuldig zu sein.
Ferdinand Weigel und ich kennen uns schon sehr lange, schon seit wir Kinder waren. Und als wir älter wurden, begannen wir, einander zu lieben. Aber das Leben ist nicht immer gut zu Liebenden. Ferdinand war nicht in der Lage, mir irgendeine Sicherheit zu bieten, sodass ich gezwungen war, mich zu verheiraten. Trotzdem folgte er mir stets überallhin, zuletzt auch hierher.
Nicht erst seit Sie mit solcher Hochachtung von Cornelius sprachen, habe ich erkannt, dass dieser Mann, den ich tatsächlich wegen seines Geldes geheiratet hatte, nachdem ich zum zweiten Mal verwitwet war, kein gebrechlicher Greis war, sondern vor Leben und Geist sprühte und mir weit mehr bot als weltliche Besitztümer. Ich hatte längst begonnen, ihn herzlich zu lieben, als Ferdinand wieder auftauchte.
Ich bin fest entschlossen, Ferdinand endgültig den Laufpass zu geben und ihn zu bitten, seine Stellung zu kündigen und Ruhrort zu verlassen. Wenn alles geregelt ist, dann ist es sicher auch in Ihrem Sinne, wenn ich Cornelius nichts davon erzählen werde, und ich hoffe dabei auch auf Ihre Verschwiegenheit. Es würde ihn sehr verletzen, was ich keinesfalls möchte. Aber natürlich macht es mir den Neuanfang ohne Ferdinand auch ein wenig leichter.
Liebe Frau Borghoff, ich weiß, dass ich Sie anfangs etwas von oben herab behandelt habe. Ich spürte, wie sehr mein Mann Sie schätzt, für wie klug und außergewöhnlich er Sie hält.
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