Das dunkle Netz der Lügen
Ich hoffe, Sie können meine Verunsicherung – und , ja – auch meine Eifersucht ein wenig nachempfinden. Deshalb bitte ich Sie herzlich: Seien Sie auch meine Freundin und erzählen Sie ihm nichts von allem. Wie ernst es mir ist, zeigt wohl auch, dass ich Cornelius’ Kind unter dem Herzen trage.
Vielleicht kommen Sie mich in den nächsten Tagen noch einmal besuchen, und wir können dann über alles reden. Und vielleicht besteht ja wirklich eine Hoffnung darauf, dass ich Sie irgendwann auch selbst zur Freundin gewinnen kann. Das wäre mir ein großes Anliegen.
Ihre
Elise von Sannberg
Linas Hand zitterte, als sie den Brief wieder auf den Tisch legte. Elise war schwanger gewesen, als man sie tötete. Sie hatte vermutlich ihre Affäre mit Ferdinand Weigel beendet. Sie verfluchte den Alkohol der letzten, so fröhlichen Nacht, dessen Nachwehen es ihr nun fast unmöglich machten, einen klaren Gedanken zu fassen. Zunächst dachte sie daran, den Brief sofort zu Robert zu bringen, aber dann fiel ihr ein, dass er gar nichts davon wusste, dass sie mit Elise gesprochen hatte. Schließlich waren sie damals übereingekommen, dass es das Beste sei, wenn sie sich nicht einmischten. Sie beschloss, es ihm am Abend zu beichten, und war dankbar für die paar Stunden Galgenfrist.
Finchen steckte den Kopf durch die Tür.
«Frau Borghoff, die Bewerber um die Hausdienerstelle sind da.»
Lina seufzte. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Als sie die Anzeige aufgegeben hatte, schien es ihr eine gute Idee, die Expedition der Zeitung anzuweisen, die Männer für den Ersten Mai zu bestellen, an dem das Geschäft ja ruhig war. Aber jetzt war sie nicht mehr der Meinung. «Wie viele sind es denn?»
«Fünf.»
«Sie sollen im Flur warten. Sag bitte Otto Bescheid, ichmöchte, dass er dabei ist, schließlich muss er mit dem neuen Diener arbeiten. Und dann … bitte Antonie, mir Kaffee zu machen … mit Zitrone.» Täuschte sie sich, oder war da ein Grinsen über Finchens Gesicht gehuscht?
Wann Zita in der Nacht zum Ersten Mai endlich eingeschlafen war, wusste sie nicht mehr, als sie am Morgen aufwachte. Es war heller Tag. Hermann war bereits aufgestanden und angezogen. Er war damit beschäftigt, seinen Verband zu wechseln. Die Wunde hatte sich nicht entzündet und heilte bereits.
«Guten Morgen», sagte er.
«Guten Morgen.» Zita war seltsam zumute. Seit sie hier in diesem Zimmer zusammenlebten, waren sie wie Bruder und Schwester miteinander umgegangen. Aber nun, seit der letzten Nacht, hatte sich alles verändert.
Sie war nackt unter der Decke, und es fiel ihr schwer, nun aufzustehen und sich ihm so zu zeigen. Sie setzte sich auf und griff nach ihrem Unterhemd, das sie über den Bettpfosten gelegt hatte.
Er hatte Tee gekocht und goss ihr vorsichtig ein. Der Aufguss war dünn, sie hatten nicht mehr viel Vorrat. «Ich werde nachher neuen besorgen», sagte sie.
«Bereust du, was gestern Nacht geschehen ist?», fragte Hermann plötzlich. Er hatte sich den Verband wieder angelegt.
«Nein … Es ist nur …» Sie suchte nach Worten. «So ganz weiß ich nicht, wie wir zueinander stehen, Hermann. Gehören wir jetzt zusammen? Oder war das nur die Lust, weil wir beide schon so lange allein sind?»
Er setzte sich neben sie auf das Bett. «Darüber habe ich nicht nachgedacht.»
«Ja, ich weiß. Männer machen sich in solchen Sachen weniger Gedanken …»
«Zita, Tomasz ist noch gar nicht lange tot. Kann ich da verlangen, dass du mich liebst?»
«Es geht mir gar nicht um Liebe, Hermann.»
Er sah sie erstaunt an, und sie fuhr fort: «Bisher haben wir hier einfach nebeneinanderher gelebt. Die Nacht vorher haben wir sogar zusammen im Bett gelegen, ohne uns näherzukommen. Aber wie wird das jetzt, nachdem wir miteinander geschlafen haben? Wird sich nun etwas ändern?»
Hermann schien sich zu fragen, welche Antwort sie hören wollte. Er zögerte, bevor er antwortete. «Es muss sich doch gar nichts ändern, oder? Es war sehr schön mit dir gestern Abend. Aber wir müssen das nicht noch einmal tun, wenn du es nicht willst. Nur weil du gestern bereit warst, dich mir hinzugeben, heißt das nicht, dass du mir von jetzt an zur Verfügung stehen musst, Zita. Du bist keine Hure mehr, und für mich warst du auch nie eine.»
Sie stand vom Bett auf und gab ihm einen sanften kleinen Kuss auf die Wange. «Hast du Hunger?», fragte sie.
«Und wie!»
Im Kasten waren noch Brot und ein wenig Käse. Und für den Abend würde sie etwas
Weitere Kostenlose Bücher