Das Dunkle Netz Der Rache
»Was ist los?«
Er sah flüchtig zu dem Raum hinter ihm. Lebensmittel. Eine Toilette. Blut. »Ich will verdammt sein, wenn ich es weiß.«
»Wie bitte?«
»Später.«
»Ich habe …« Der Rest ging im Rauschen unter.
»Wie bitte?«
»Ich habe eine Nachricht von Ihrer Frau. ›Vergiss nicht, dass du versprochen hast …‹« Ein statisches Pfeifen übertönte Harlene.
Er bat sie nicht um Wiederholung. Er wusste, was in der Nachricht stand. Er starrte hinunter zu Hayes, der seine Ausrüstung auf die Schulter hievte, während der Assistent den Strahler transportierte. In einer Stunde würde es dunkel sein. Im Leichenschauhaus lag ein ungeklärter Todesfall, eine Frau war irgendwo hier draußen, und ein möglicher Verdächtiger befand sich auf freiem Fuß. Wenn er jemals zur Stelle hatte sein müssen, dann heute Abend.
Er erinnerte sich, was Linda über ihre Arbeit gesagt hatte. Jetzt bin ich dran.
»Richten Sie meiner Frau aus, ich werde wie versprochen dort sein. Chief meldet sich ab.«
Er blieb einen Augenblick in der auffrischenden Brise stehen, die letzte von der Sonne erwärmte Luft, die der Dunkelheit entgegenströmte.
Über den Bergspitzen glühte der Himmel in aller Pracht rotorange, rosa und lavendelfarben. Die Nacht würde kalt und sternenklar werden, ohne jede Wolke, der Mond fast voll.
Schrecklich, dass Eugene van der Hoeven und Millie van der Hoeven und Becky Castle sie nicht genießen konnten. Er schloss kurz die Augen, ehe er der Schönheit den Rücken kehrte. Zurück an die Arbeit.
15:20 Uhr
Lisa Schoof war ein Mal betrunken nach Hause gefahren. Damals war sie noch Lisa Bain, neunzehn Jahre, gewesen, die den ganzen Nachmittag am Lake George gefeiert hatte und dann nach Hause gefahren war, weil sie am nächsten Morgen früh zur Arbeit musste. Beschwipst und glücklich war sie dahingeflogen, bis sie den State Trooper im Rückspiegel entdeckt hatte.
O Gott, o Gott, o Gott, o Gott, hatte sie gedacht. Man würde sie verhaften. Sie wäre entehrt, vorbestraft, würde ihren Führerschein verlieren, und damit ihren Job. Ihre Wahrnehmung schrumpfte zusammen. Einige Dinge – das Grün der Bäume, die anderen Autos, die Musik im Radio – verblassten. Andere Dinge wurden erschreckend deutlich – der Mittelstreifen, der Tacho, ihr Rückspiegel. Mit klopfendem Herzen fuhr sie Meile um Meile und war sich die ganze Zeit des Mittelstreifens, der Geschwindigkeit, des hartnäckig hinter ihr herfahrenden Streifenwagens intensiv bewusst.
Genauso ging es ihr jetzt, als sie mit Kevin Flynn in der Tür stand und ihren Mann auf dem Fahrersitz beobachtete. Warum stieg er nicht aus? Jeden Moment konnte Kevin sie fragen, was denn so lange dauerte, und dann würde er hinübergehen und Randy aus dem Pick-up ziehen und dann –
Randy öffnete die Tür. Er schlenderte lächelnd auf die Veranda zu, aber Lisa wusste, dass es kein echtes Lächeln war, wusste, dass sie diesen Randy noch nie gesehen hatte. Seine Zähne blitzten im Sonnenlicht wie die Scheinwerfer des State Troopers in ihrem Rückspiegel, und als sie, nicht in der Lage, diesen Anblick zu ertragen, den Blick von seinem Gesicht abwandte, entdeckte sie das Blut auf seiner Kleidung.
Blut. Auf seiner Kleidung. Und er ging auf sie zu, sagte »Hey, Süße«, und Lisa glaubte, ihre Einfahrt strecke sich wie diese Tunnel mit optischen Illusionen in den Spiegelkabinetten auf Jahrmärkten, erstrecke sich in die Ewigkeit.
Sie hörte Kevin Flynn einatmen, sah das Heben seiner gestärkten Uniformhemdbrust, und in dem Moment, ehe er den Mund öffnete, fand sie die Zeit zu denken: Soll ich schreien ›Lauf weg‹? Wenn ich Kevin zur Seite stoße, kann Randy dann entkommen? Aber statt ihren Mann zum Stehenbleiben aufzufordern, sagte Kevin: »Hey Randy, wie geht’s denn so?«
»Gut«, antwortete Randy und erklomm die Eingangsstufen eins, zwei, drei, mit diesem falschen Lächeln, griff nach ihrer Hand, ergriff sie. Das war der echte Randy, die Hand zitterte. Er hielt sie fest genug, um Knochen zu brechen. Er küsste sie flüchtig auf die Wange. »Gutes Jagdwetter. Ich kann nicht klagen. Mein Kumpel Mike hat einen Hirsch geschossen.«
»Schön für dich«, sagte Kevin. In seiner Stimme lagen weder Misstrauen noch Vorbehalte oder eine gewisse Kühle.
»Ich habe ihm beim Zerlegen geholfen«, erklärte Randy. »Er hat mir ein paar Stücke mitgegeben, Baby. Hol schon mal den Grill raus, ich hab Appetit auf Bambiburger.«
Die Männer lachten. Lisa, die den Druck der Hand
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