Das Dunkle Netz Der Rache
in Gegenwart ihrer Eltern den Mund aufzumachen, und Reid ist irgendwie darin verwickelt.« Russ nahm die Brille ab und putzte sie mit einem Zipfel seines Thermohemds.
»Soll ich das Zimmer räumen? Und sie noch mal befragen?«
»Nein. Für heute haben wir die Familie genug verärgert. Unser Hauptziel ist Schoof. Shaun ist wahrscheinlich eine Sackgasse, wenn man bedenkt, woher die Information stammt. Sollten wir etwas entdecken, das die Lage ändert, üben wir vollen Druck aus.«
»Die Fahndung nach Schoof läuft, und Noble durchkämmt die Stadt, überprüft alle Orte, mit denen man ihn in Verbindung bringt. Häuser von Verwandten, Arbeitsstellen, das Übliche.«
Lyles Funkgerät verlangte knisternd seine Aufmerksamkeit. Er hakte es von seinem Gürtel und drückte auf Senden. »MacAuley hier.«
»Lyle, ich bin’s, Noble.«
Lyle sah Russ an. »Ich höre.«
»Ich habe das Auto von der Castle gefunden.«
»Gute Arbeit. Wo ist es?«
»Auf dem Angestelltenparkplatz von Reid-Gruyn.«
Russ setzte die Brille wieder auf und griff nach dem Funkgerät. »Noble? Russ hier. Ich bin in zehn Minuten da. Halt die Stellung.«
»Alles klar, Chief.«
Lyle schaltete das Funkgerät ab und verstaute es. »So. Vielleicht ist an dieser Sache mit Reid ja doch was dran.«
»Wir werden sehen. Ich will, dass du mit Schoofs Kumpeln weitermachst. Konzentrier dich auf den Burschen, der angeblich mit ihm auf der Jagd war. Sieh zu, ob du irgendwas rausfinden kannst.«
»Okay. Gibt es was Neues von den van der Hoevens?«
»Eric und die Spurensicherung der Staatspolizei waren am Fundort, als ich ging.« Russ warf einen Blick auf seine Uhr. »Falls Richter Ryswick den Durchsuchungsbeschluss ausgestellt hat, sollte Eric in diesem Augenblick das Haus durchkämmen. Mark verfolgt mit Hilfe des Verkehrsamts die Spur des schwarzen Mercedes. Erst Washington County, dann die umliegenden Countys.«
»Das wird die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen.«
»Ich weiß. Ein anderer Hinweis darauf, wohin Millie van der Hoeven verschwunden ist, wäre mir viel Geld wert, aber im Augenblick ist der Mercedes unsere beste Chance. Man sollte nicht glauben, wie viele Mercedes in den letzten zwei Jahren im County-Dreieck registriert worden sind.«
»Und du hast es nicht geglaubt, als gesagt wurde, die Wirtschaft würde sich erholen.«
Russ schnaubte. »Willst du mal raten, welche Farbe bei Mercedeslimousinen am beliebtesten ist?«
Lyle verdrehte die Augen. »Schwarz?«
»Treffer. Deshalb bist du auch Deputy.«
Lyle stieß sich von der Wand ab und drückte auf den Fahrstuhlknopf. »Kommst du?«
Russ wandte den Kopf zum anderen Ende des Flurs. »Ich will noch mit Clare reden, ehe ich aufbreche.«
»Wir sollten es ihr überlassen, die Wahrheit aus der Castle herauszuholen.«
»Gute Idee.« Die Fahrstuhlklingel ertönte, und die Türen öffneten sich zischend. Russ schlug mit der Hand gegen die Türkante. »Weißt du, sie hat vorhin was zu mir gesagt. Über Shaun Reid.«
»Was?«
»Hast du was darüber gehört, dass GWP ihm die Mühle unterm Hinterm wegkaufen will?«
Lyle schüttelte den Kopf. Der Fahrstuhl klingelte ungeduldig.
»Der zweiten Mrs. Reid zufolge liegt das Angebot auf dem Tisch – wenn der Verkauf von Haudenosaunee erfolgt. Die Frage ist nur, ob Reid verkaufen will. Oder wird er versuchen, Sand ins Getriebe zu streuen?« Er ließ die Tür los und wurde mit dem Anblick von Lyles nachdenklicher Miene belohnt, ehe sich die Türen schlossen.
18:40 Uhr
Russ hatte die Reid-Gruyn-Fabrik immer gefallen. Als er noch in der Highschool gewesen war, hatte er sich hin und wieder mit Shaun im Büro von dessen Vater getroffen, das selbst damals in den Sechzigern schon die verstaubte Atmosphäre eines Industriedenkmals einer lange vergangenen Zeit geatmet hatte. Auf Streife fuhr er regelmäßig daran vorbei, aber er hatte die Zwillingspfeiler schon seit Jahrzehnten nicht mehr passiert. Als er durch die Überreste des Tors fuhr – die Gitter waren bereits vor Russ’ Geburt entfernt worden –, stellte er erfreut fest, dass sich nichts verändert hatte.
Die alte Mühle, die am Flussufer vermoderte, war ein halb verborgener Schatten, versteckt hinter der neuen Fabrik und weit entfernt von der schummrigen Beleuchtung des Parkplatzes. Die neue Mühle, die schon während der Präsidentschaft Calvin Coolidges nicht mehr neu gewesen war, erhob sich neben dem schwarzen schimmernden Wasserlauf. Selbst vom Rand des Tores aus konnte Russ das
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