Das Dunkle Netz Der Rache
zur Vermehrung an sie klammerten. Trotz der frostigen Temperatur hatte sie zu schwitzen begonnen, und ein Spiegel würde ihr vermutlich ihr schlammverschmiertes Gesicht zeigen. Sie musste sich bei erster Gelegenheit gründlich abschrubben – sie konnte sich schon ausmalen, wie sie in diesem Zustand den Diakon der Diözese traf. Als Vorhut des Bischofs würde er heute eintreffen, um sich zu vergewissern, dass alles für den Besuch vorbereitet war. Gewöhnlich bedeutete das, die reich geschmückte Amtstracht des Bischofs mitzubringen und die Papiere der Konfirmationskandidaten durchzugehen, aber letzte Woche hatte Clare einen Brief von Diakon Aberforth erhalten, in dem er sie zu einer »Plauderei« am Samstag einlud. Sie nahm nicht an, dass die Teilnahme freiwillig war. Vermutlich reine Routine. Sie beendete ihr zweites Jahr in St. Alban’s; die Diözese befand sich mitten in einer großen Spendenkampagne. Er wollte vermutlich nur nach dem Rechten sehen. Es sei denn … jemand hat ihm von dir und dem Polizeichef erzählt, unkte eine Stimme in ihrem Kopf. Sie klang nach Master Sergeant Ashley »Hardball« Wright, dem Mann, der sie während ihrer Grundausbildung gequält, gelehrt und abgehärtet hatte. Wenn Sie hinter den Linien stehen, denken Sie immer an den Beschuss aus den eigenen Reihen, hatte Wright gesagt. Es mag Ihre Truppe sein, aber die tötet Sie genauso schnell wie der Feind.
Sie verdrängte den Gedanken. Sah nach links, nach rechts, wieder nach links. Vielleicht fand sich die vermisste Frau hinter der nächsten Erhebung. Vielleicht.
7:30 Uhr
Shaun Reid gab vor zu schlafen. Seine Frau bewegte sich leise durch das abgedunkelte Zimmer, schlüpfte in ihre Laufkleidung, ließ sich auf der Kante ihres Bettes nieder, um ihre Schuhe zuzubinden. Sie beugte sich über ihn und küsste ihn zärtlich auf die Schläfe. Das brachte ihn dazu, die Augen aufzuschlagen.
»Schlaf weiter«, sagte Courtney. »Ich wollte dir nur einen Kuss geben. Wir sehen uns wahrscheinlich erst heute Nachmittag wieder. Nach dem Laufen fahre ich einkaufen und dann direkt nach St. Alban’s.«
Er produzierte ein verschlafenes, fragendes Geräusch.
»Morgen kommt der Bischof zu Besuch. Bitte sag nicht, dass du das vergessen hast. Ich leite das Vorbereitungskomitee. Wie würde das aussehen, wenn mein Mann nicht in der Kirche erscheint? Nur dieses eine Mal? Für mich?« Sie küsste ihn noch einmal, ehe sie sich vom Bett rollte. »Ich habe deinen Smoking in der Reinigung abgegeben. Vergiss nicht, ihn vor Ladenschluss abzuholen.«
Er schloss die Augen und ließ sie geschlossen, während er lauschte, wie ihre Laufschuhe den Flur hinunter verschwanden, die Treppe hinab, durch die Diele. Als er das Klonk der Haustür vernahm, öffnete er sie wieder.
Der Besuch des Bischofs. Vielleicht sollte er hingehen. Er war vor sieben Jahren das letzte Mal in der Kirche gewesen, bei ihrer Hochzeit. Ach, zum Teufel. An diesem Punkt brauchte er göttlichen Beistand. Lieber Gott, ich stecke tief in der Scheiße. Reich mir eine Schaufel.
Ein brennender Schmerz zuckte durch seinen Magen. Er quälte sich aus dem Bett und ging ins Badezimmer. Ein paar Antacid waren noch in der Großpackung, die er gekauft hatte. Letzte Woche. Er musste zum Arzt, ein Rezept holen, aber er hatte so unter Zeitdruck gestanden, dass er nicht dazu gekommen war. Zeitdruck. Und jetzt lief die Zeit ab.
Er schüttelte vier Tabletten auf die Hand und warf sie ein, zerkaute sie vor dem Schlucken zu Pulver. Der kreidigsüße Geschmack ließ ihn schaudern. Er musterte sich im Spiegel. Himmel, er sah furchtbar aus. Als hätte er seit einer Woche nicht mehr geschlafen. Vielleicht seit einem Monat. Er beugte sich über das Becken und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Er konnte sich nicht mit Terry McKellan treffen, wenn er aussah, als stünde er am Rand eines Nervenzusammenbruchs. Selbstvertrauen. Das musste er ausstrahlen. Energie. Entschlossenheit.
Er musterte sich noch ein Mal. Versuchte ein Lächeln. Vielleicht wäre Koffein eine Hilfe.
In der Küche schloss er die Maschine an und schüttete gemahlenen Kaffee in den Filter. Er dachte an Müsli oder Toast, aber sein Magen grollte protestierend. Als der Kaffee fertig war, nahm er eine Tasse mit in sein Arbeitszimmer. Sein Schreibtisch, seine Akten, sein aufgeklappter Laptop zogen ihn widerstrebend an, so wie ein grauenhafter Unfall dazu führt, dass man langsamer fährt und starrt. Er stellte seine Tasse neben den PC und schaltete das
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