Das Dunkle Netz Der Rache
werden.« Sie legte eine weiß behandschuhte Hand an die Lippen. »Ihr Wein wird schrecklich kalt sein, aber ich nehme an, wenn wir ihn bis zum Ende des Abends zurückhalten … sicher, holen Sie ihn. Brauchen Sie Hilfe?«
»Nein. Ich stehe direkt vor der Tür. Meine Verabredung und ich holen ihn.« Sie wandte sich wieder zu ihrem Tisch, zögerte und drehte sich noch einmal um. Sie ging zu der Frau in grauem Satin, die lustlos ins Leere starrte. »Ms. van der Hoeven?«
Die Frau zwinkerte und sah zu Clare auf. »Eigentlich Tuchman. Nun, nein, das wohl auch nicht mehr. Vielleicht nehme ich diesmal den Namen Louisa van der Hoeven wieder an. Das klingt besser als Louisa Tuchman, finden Sie nicht? Oder Louisa de Parrada. Ich fand immer, das klang so nach Flamencotänzerin. Wer sind Sie gleich noch?«
Eugenes und Millies Schwester ertränkte ihren Kummer offensichtlich auf althergebrachte Weise. »Ich bin Clare Fergusson«, sagte sie. »Ich wollte Ihnen nur sagen, wie leid es mir wegen Ihres Bruders tut.«
Louisa van der Hoeven de Parrada Tuchman blinzelte langsam. »Ich glaube, Gene gehörte zu den Menschen, von denen man sagen kann, ›sein Leiden ist zu Ende‹.«
»Vielleicht.« Clare wählte ihre Worte mit Bedacht. »Ich kannte ihn nur kurz, aber er erschien mir wie ein Mann, dem viele Dinge wahrhaft am Herzen lagen. Einschließlich Ihrer Familie und deren Geschichte.« Sie wies mit der Hand auf die von schneeweißem Leinen umrahmten, rauhen Holzkisten. »Ich finde es reizend, dass seine letzte Geste es jedem ermöglicht, mit van der Hoeven-Wein auf die van der Hoevens zu trinken.«
Louisa bedachte die Kisten mit einem zynischen Blick. »Nein«, erwiderte sie. »Das ist nur ein weiteres Beispiel dafür, wie hohl wir sind. Ein Versuch, Menschen mit Geld zu beeindrucken, das schon vor zwei Generationen verloren wurde.«
»Wie bitte?«
Louisa stützte ein knochiges Handgelenk auf den Tisch. »Dieser Stoff wird in Kalifornien abgefüllt und mit jedem beliebigen Etikett versehen, das man sich aussucht. Die van der Hoevens besitzen keinen Weinberg.«
20:45 Uhr
Millie hörte, wie sich die Tür öffnete. Sie beugte sich zu ihren Knöcheln vor und stach panisch mit der Spitze der Schraube auf ihre gedehnten Paketbandfesseln ein. Sie hatte schon zehn, zwölf, fünfzehn Löcher hineingebohrt, aber es wollte einfach nicht reißen.
»Millie?« Randy, natürlich. »Bist du noch da?«
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich hier hinten warten würde«, rief sie so unbeschwert und beruhigend wie möglich. Es war nicht so, als hätte sie irgendwo anders hingehen können. Wenn sie doch nur das Paketband durchtrennen könnte, eher er zu ihr kam und entdeckte, was sie getan hatte, während er fort gewesen war … »Hey, als Shaun Reid mich hergebracht hat, sagte er etwas über eine Kiste Wein neben der Tür. Warum suchst du sie nicht und wir trinken was? Ich weiß nicht, wie es bei dir ist, aber ich könnte einen vertragen.«
»Okay.« Der dünne Strahl einer Taschenlampe leuchtete auf. Er hüpfte neben der schmalen Tür herum, durch die Randy gekommen und gegangen war. Im Widerschein konnte sie seinen Umriss erkennen. Er hatte Schultern wie ein Gorilla. Sie hielt sich selbst für eine kräftige Frau, aber sie hatte keine Illusionen. Er konnte mit ihr machen, was er wollte, wenn sie ihn nicht als Erste erwischte. Sie verdoppelte ihre Anstrengungen, stocherte und zerrte an den Löchern im Paketband.
»Ich kann nichts entdecken.«
»Versuch’s mal bei der großen Tür, die zur Laderampe führt«, rief sie.
»Alles okay mit dir? Du klingst irgendwie außer Atem.«
Sie holte tief Luft. »Ich bin nur ein bisschen im Stress. Der Wein wird helfen.«
Der Strahl der Taschenlampe wanderte zur Vorderseite des Gebäudes. Millie bohrte noch ein Loch in das Band. Sie stieß ihre Finger hindurch und zog, ihre Arme zitterten, ihre Schenkel verkrampften sich von der Anstrengung, die Knöchel so weit wie möglich auseinanderzuhalten. Sie spürte, wie etwas nachgab. Sie zog heftiger. Einen kurzen Moment passierte nichts, aber dann ertönte ein reißendes Geräusch, und ihre Fesseln lösten sich in zwei Stücke Paketband auf, deren ausgefranste Enden zwischen ihren Knöcheln flatterten.
Sie biss sich auf die Lippe, um nicht aufzuheulen. Dann streckte sie zum ersten Mal an diesem Tag die Beine aus. Das schmerzhafte Ziehen war die wunderbarste Empfindung, die sie jemals erlebt hatte.
»Hey, ich habe sie gefunden. Mal sehen, wie wir den
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