Das Dunkle Netz Der Rache
sagen, was ich tun soll«, drängte Lyle.
»Sicher. Fahr rüber zum Krankenhaus und nimm Becky Castles Aussage auf. Sie hat die Operation hinter sich.«
Lyle wirkte überrascht. »Das Krankenhaus hat bei dir angerufen?«
»Äh.« Russ zwang sich, dem Blick seines Deputy Chiefs nicht auszuweichen. »Nein. Ich habe mit Reverend Fergusson telefoniert. Sie hat es mir gesagt.«
»Aha.« Lyle zögerte. »Weißt du, mit fünfzig solltest du eigentlich zu alt und zu klug sein, um dein Leben zu ruinieren.«
Halt dich da raus. Halt dich einfach raus. Russ lief über den Kies zum Lieferwagen, wo ein weiterer Techniker Hayes dabei half, die Ausrüstung auszuladen.
»Sergeant Hayes«, begrüßte Russ diesen mit ausgestreckter Hand.
Der Polizist schüttelte sie kurz. »Chief Van Alstyne.«
»Alles bereit, damit wir hier schnell fertig werden?«
»Worauf Sie wetten können. Zeigen Sie uns den Weg.«
Russ drehte sich zu einem der Streifenwagen um. »Noble«, rief er.
Noble Entwhistle löste sich aus seiner entspannten Haltung an der Seite des Wagens.
»Sie begleiten mich.« Russ zeigte mit dem Finger auf Lyle, der zu ihm herübergeschlendert war. »Du. Ab ins Krankenhaus.« Er senkte die Stimme. »Benimm dich.«
»Komisch«, erwiderte Lyle. »Dasselbe wollte ich dir auch gerade sagen.«
14:40 Uhr
Clare hatte die Ziegeltreppe, die von der Küche im Souterrain von St. Alban’s zur Straße hinaufführte, stets als ihren privaten Notausgang betrachtet. Die großen Doppeltüren der Kirche waren für Feiertage und Hochzeiten bestimmt und führten lästigerweise zum öffentlichen Platz an der Church Street, während das Pfarrhaus auf der anderen Seite lag. Den Durchgang von der oberen Gemeindehalle zur Elm Street und dem Parkplatz, den die Kirche gemietet hatte, wurde wesentlich häufiger genutzt als die Seitentür eines Hauses mit einem großartigen, aber schwer zugänglichen Eingang. Als Ergebnis davon standen Clares Chancen, ungesehen hinein-oder herauszuschlüpfen denkbar schlecht. Aber nur wenige Menschen benutzten die steile Küchentreppe, die auf dem winzigen Privatparkplatz von St. Alban’s endete, der wiederum von einer Buchsbaumhecke umgeben war, die das Pfarrhaus vom Kirchengrund trennte.
Sie hatte die Treppe hinunterschleichen, Geoffrey Burns ausfindig machen und sich dann zu ihrem eigenen Haus zurückstehlen wollen. Sie musste essen und duschen. Oder duschen und essen. Vielleicht ein Sandwich in der Badewanne.
Die Anwesenheit dreier Autos, die sich wie durch ein Wunder auf dem briefmarkengroßen Asphaltplatz quetschten, war ein Anzeichen, dass ihr Plan einiger Änderungen bedurfte. Sie stellte den Shelby vor einer Kunststoffmülltonne ab und öffnete zögerlich die Tür, um nicht an den daneben parkenden Volvo zu stoßen.
Sie konnte den oberen Teil der Eingangstür erkennen. Offen. Das Klappern von Besteck und Stimmengewirr übertönten beinah die enthusiastische Darbietung von »Eine feste Burg ist unser Gott«. Das musste Judy Morrison sein, eine ehemalige Lutheranerin. Da ihre Vorstellung von Gourmetküche darin bestand, Pringles auf ihre Aufläufe zu krümeln, hoffte Clare, dass man sie dem Putzteam zugeteilt hatte und nicht der Küchenmannschaft.
Dann stieg ihr ein köstlich buttriger Duft in die Nase. Ihr Magen zog sie in diese Richtung, und ihre Füße folgten. Eilig lief sie die Treppe hinunter.
Courtney Reid und Sabrina Campbell schwatzten, die Köpfe zusammengesteckt, während sie in Töpfen auf dem achtflammigen Herd rührten. Judy Morrison steckte bis zu den Ellbogen im Seifenwasser, Pfannen und Behälter mit Besteck stapelten sich auf den Arbeitsflächen um sie herum. Alle drei trugen Schürzen mit der Aufschrift Heute schon einen Episkopalen umarmt?, die beim Wohltätigkeitsbasar im Frühjahr der Hit gewesen waren.
»Ein gute Wehr und Waffen«, sang Judy . »Er hilft uns frei aus aller Not …« Courtney warf ihr einen Blick zu und verdrehte die Augen, dann entdeckte sie Clare.
»Reverend!«
Clare lächelte, um nicht zusammenzuzucken. Wenn man sie so ansprach, konnte sie stets ihre Großmutter Fergusson schnauben hören. Reverend. Da könnte man gleich einen Priester »Holy« nennen. Das ist grammatisch genauso falsch.
Obwohl Clare die Anrede Reverend Clare akzeptierte – da sie eindeutig kein »Father« war und »Mother« sie immer an betagte armenische Nonnen erinnerte –, war es ihr wesentlich lieber, mit Vornamen angesprochen zu werden als mit einem bloßen Reverend.
»Hallo, alle
Weitere Kostenlose Bücher