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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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angesehen haben …«, beginnt sie.
    »Ja?«
    Sie kreuzt die Arme vor der Brust und fröstelt. »Ich weiß nicht, ob ich diese Art von Frieden mag.«
    »Ich weiß«, antworte ich leise.
    Sie wartet einen Augenblick, dann fragt sie: »Könnten deine Leute uns helfen? Könnten sie dem ein Ende bereiten?«
    »Ich weiß es nicht«, antworte ich. »Aber es ist besser, als nur hier zu sitzen und darauf zu warten, dass das Schlimmste passiert.«
    Sie vergewissert sich, dass uns niemand hört. »Mistress Coyle ist großartig«, sagt sie, »aber manchmal lässt sie nur ihre eigene Meinung gelten.«
    Sie zögert, beißt sich auf die Lippen.
    »Maddy?«
    »Wir werden warten«, sagt sie.
    »Worauf?«
    »Auf den richtigen Moment, und nur dann …« Sie blickt sich um. »Dann versuchen wir mit deinen Schiffen Verbindung aufzunehmen.«

8
    Die jüngste Gehilfin
    (VIOLA)
    »Aber Sklaverei ist Unrecht«, sage ich und rolle noch eine Binde auf.
    »Die Heilerinnen waren immer dagegen.« Mistress Coyle hakt ein weiteres Kästchen auf ihrer Liste ab. »Sogar nach dem Spackle-Krieg hielten wir es für unmenschlich.«
    »Warum habt ihr dann nicht Schluss damit gemacht?«
    »Wenn du jemals einen Krieg mit ansehen musstest«, sagt sie, ohne von ihrem Klemmbrett aufzusehen, »dann wirst du verstehen, dass er nur Zerstörung mit sich bringt. Niemand kann vor dem Krieg davonlaufen. Kein Mensch. Nicht einmal die, die überleben. Man nimmt Dinge in Kauf, die einen sonst nur abgestoßen hätten, weil das Leben in diesen Zeiten jeden Sinn verloren hat.«
    »Der Krieg macht aus Männern Ungeheuer«, wiederhole ich Bens Worte, die er in jener Nacht an dem schauerlichen Ort gesprochen hat, wo die Bewohner von New World ihre Toten begraben.
    »Und aus Frauen«, fügt Mistress Coyle hinzu. Sie zählt mit den Fingern die Schachteln voller Spritzen ab.
    »Aber der Spackle-Krieg ist doch schon lange vorbei.«
    »Seit dreizehn Jahren.«
    »Dreizehn Jahre, in denen ihr das Unrecht hättet abschaffen können.«
    Jetzt sieht sie mich an. »Nur wenn man jung ist, ist das Leben so einfach, Mädchen.«
    »Aber Ihr hattet das Sagen«, wende ich ein. »Ihr hättet etwas unternehmen können.«
    »Und wer hat dir gesagt, dass ich das Sagen hatte?«
    »Corinne hat …«
    »Ach, Corinne«, seufzt sie und starrt wieder auf ihre Klemmmappe, »sie gibt sich Mühe, mich im besten Licht erscheinen zu lassen, egal was passiert.«
    Ich öffne eine weitere Schachtel mit Vorräten und beschließe, nicht lockerzulassen. »Aber Ihr wart immerhin Vorsitzende von diesem Rat oder wie er heißt. Da hättet Ihr doch sicherlich irgendetwas für die Spackle tun können.«
    »Manchmal, Mädchen«, sagt sie und wirft mir einen ärgerlichen Blick zu, »kann man Menschen dazu bringen, etwas zu tun, was sie eigentlich gar nicht wollen, aber das ist eher selten. Wir konnten den Spackle die Freiheit nicht zurückgeben, jedenfalls nicht, bevor wir sie auf grausame Weise besiegt hatten. Nicht solange wir so viele Arbeitskräfte brauchten, um alles wieder aufzubauen. Aber man konnte sie besser behandeln, das stimmt. Man konnte sie anständig ernähren, ihnen menschenwürdige Arbeitszeiten geben und ihnen erlauben, mit ihren Familien zusammenzuleben. Das alles sind Siege, die ich für sie erstritten habe, Viola.«
    Ihr Stift fährt jetzt viel energischer über das Blatt als vorher. Ich beobachte sie einen Augenblick lang. »Corinne hat gesagt, man hat Euch aus dem Rat geworfen, weil Ihr ein Leben gerettet habt.«
    Sie schweigt, legt ihr Klemmbrett beiseite und geht zu einem der größeren Regale hoch. Sie greift nach oben und holt erst ein Gehilfenhäubchen, dann einen zusammengefalteten Umhang herunter. Sie dreht sich um und wirft mir beides zu.
    »Wozu ist das?«, frage ich und fange beide auf.
    »Willst du wissen, wie es ist, ein Anführer zu sein?«, fragt sie. »Dann lass uns damit anfangen.«
    Ich schaue ihr in die Augen.
    Ich betrachte die Haube und den Umhang.
    Von da an habe ich kaum noch Zeit zu essen.
    Am Tag, an dem die Frauen wieder hinausdurften, kamen achtzehn neue Patienten, alles Frauen mit den unterschiedlichsten Krankheiten – Blinddarmentzündung, Herzprobleme, Knochenbrüche, Frauen, die ihre Krebsbehandlung fortsetzen wollten. Sie alle saßen bisher in den Häusern fest, in die man sie nach der Trennung von ihren Männern und Söhnen verbracht hatte. Am nächsten Tag kamen noch einmal elf Frauen. Mistress Lawson kehrte, so bald sie konnte, in das Kinderspital zurück, aber

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