Das dunkle Paradies
Blöde, nutzlose Scheißtiere.
»Todd?«, ruft der Bürgermeister und kommt näher herangeritten. »Bist du verletzt?«
Ich bin mir nicht sicher, ob ich ruhig genug bin, ihm zu antworten, aber als ich gerade den Mund aufmache …
… bebt der Boden unter mir.
Ich bin immer noch halb taub, deshalb spüre ich es mehr, als dass ich es höre. Ich spüre, wie das Grollen den Boden erzittern lässt, ich spüre, wie die Luft dreimal heftig vibriert, kurz hintereinander, und ich sehe, wie sich der Bürgermeister im selben Augenblick umdreht und in Richtung Stadt späht, sehe, wie Davy und alle Spackle das Gleiche tun.
Noch mehr Bomben.
Dort in der Ferne, wo die Stadt liegt, sind die größten Bomben explodiert, die jemals auf diesen Planeten gefallen sind.
18
Leben heißt kämpfen
(VIOLA)
Ich fühle mich furchtbar elend, nachdem der Bürgermeister und seine Soldaten Todd mitgenommen haben, sodass mir Corinne schließlich etwas dagegen geben muss, aber ich spüre den Einstich der Nadel in meinem Arm genauso wenig wie die Hand, die sie mir auf den Rücken legt. Sie lässt sie ruhig liegen, streichelt mich nicht, tut nichts, damit ich mich besser fühle, sie stützt mich nur.
Es tut mir leid, aber ich bin ihr nicht dankbar dafür.
Als ich wieder aufwache, ist es noch sehr früh, die Sonne steht noch nicht einmal über dem Horizont, alles liegt noch im morgendlichen Dämmerlicht.
Neben mir auf einem Stuhl sitzt Corinne.
»So gut es auch für dich wäre, noch länger zu schlafen«, sagt sie, »ich fürchte, es geht nicht.«
Ich richte mich auf, krümme mich. Denn mir liegt ein Stein auf der Brust, so drückend, dass ich bleischwer nach vorn sinke. »Ich weiß«, flüstere ich. »Ich weiß.«
Ich habe keine Ahnung, weshalb er plötzlich zusammengebrochen ist. Er war benommen, schien beinahe bewusstlos, hatte Schaum vor dem Mund, und dann stellten ihn die Soldaten wieder auf die Beine und schleppten ihn weg.
»Sie werden kommen und auch mich abholen«, sage ich und schlucke den Kloß im Hals hinunter. »Wenn sie mit Todd fertig sind.«
»Ja, das glaube ich auch«, sagt Corinne schlicht und betrachtet ihre Hände, die cremefarbenen Schwielen ihrer Fingerspitzen, die aschfahle Haut, die sich von ihren Händen abschält, weil sie so viel mit heißem Wasser hantiert.
Der Morgen ist kühl und überraschend frostig. Und obwohl das Fenster meines Zimmers geschlossen ist, spüre ich, wie es kalt von draußen hereinzieht. Ich schlinge die Arme um mich.
Er ist weg.
Er ist weg.
Und ich weiß nicht, was jetzt geschehen wird.
»Ich bin in einer Siedlung groß geworden, die Kentish Gate heißt«, sagt Corinne plötzlich, »am Rande des großen Waldes.«
Ich schaue auf. »Corinne?«
»Mein Vater fiel im Krieg gegen die Spackle«, erzählt sie weiter, »aber meine Mutter überlebte. Seit ich laufen konnte, habe ich mit ihr zusammen in unseren Obstgärten gearbeitet. Ich habe Äpfel geerntet und Pinienzapfen und Weinbeeren.«
Ich starre sie an, ich frage mich: Warum jetzt? Warum erzählt sie mir gerade jetzt diese Geschichte?
»Als Belohnung für all die harte Arbeit«, sagt sie, »sind wir jedes Jahr nach der letzten Ernte zelten gegangen, nur ich und meine Mutter. Wir gingen so tief in den Wald hinein, wie wir uns nur trauten.« Sie blickt in den düsteren Morgen hinaus. »Dort ist so viel Leben, Viola. So viel, in jedem Wald, jedem Bach, Fluss und Berg, in jedem Winkel. Der ganze Planet wimmelt nur so von Leben.«
Sie fährt mit den Fingern über ihre Schwielen. »Als wir zum letzten Mal zelten gingen, war ich acht. Wir wanderten drei ganze Tage lang immer nach Süden, es war ein Geschenk, weil ich schon so groß geworden war. Gott weiß, wie viele Meilen wir schon gewandert waren, aber wir waren alleine, nur ich und meine Mutter, und das war das Einzige, was zählte.«
Sie macht eine lange Pause. Ich will sie nicht in ihren Gedanken stören.
»Als sie ihre Füße in einem Bach kühlte, hat sie eine Rotbandviper in die Ferse gebissen.« Ihre Hände streichen wieder übereinander. »Das Gift der roten Schlange ist tödlich und es ist ein langer Kampf.«
»Oh, Corinne«, seufze ich leise.
Plötzlich springt sie auf, als wäre ihr mein Mitgefühl lästig, und geht zum Fenster. »Es dauerte siebzehn Stunden, bis sie tot war«, sagt sie und meidet noch immer meinen Blick. »Und es waren schreckliche, quälende Stunden. Als sie nichts mehr sehen konnte, klammerte sie sich an mich und flehte mich an, sie zu retten,
Weitere Kostenlose Bücher