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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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Arbeit machen, kichert er noch vor sich hin und macht ein ziemliches Getue, jedes Mal wenn er die Pläne studiert.
    »Mächtig kompliziert, diese Anleitungen«, sagt er und grinst dämlich.
    »Lies verdammt noch mal weiter!«
    »Schön, schön«, antwortet er. »Mit dem ersten Punkt, der hier steht, sind wir schon fertig. Alle Mauern innerhalb des Klostergeländes müssen eingerissen werden.« Er sieht von den Plänen auf. »Wenn du willst, kann ich es dir ja aufschreiben.«
    Mein Lärm schlägt ihm feuerrot entgegen, aber Lärm ist keine Waffe. Außer man ist der Bürgermeister.
    Ich hätte nicht geglaubt, dass das Leben noch beschissener werden könnte, aber es gibt immer eine Steigerung. Bomben fallen, Türme stürzen zusammen, ich muss für Davy arbeiten, der Bürgermeister lässt mich nicht aus den Augen und …
    (Ich weiß nicht, wo sie ist.)
    (Ich weiß nicht, was der Bürgermeister mit ihr vorhat.)
    (Hat sie die Bomben gelegt?)
    (Hat sie etwas damit zu tun?)
    Ich drehe mich zur Baustelle um.
    1150 Paar Spackle-Augen beobachten uns, starren mich an wie blödes Vieh, das vom Grasen aufschaut, weil es irgendetwas gehört hat.
    Saublöde Schafe.
    »Macht euch an die Arbeit!«, schreie ich.
    »Du siehst ja ziemlich übel aus«, begrüßt mich Bürgermeister Ledger, als ich mich auf meine Pritsche fallen lasse.
    »Scheiß drauf«, antworte ich nur.
    »Er lässt dich ganz schön schuften, was?« Er bringt mir das Abendessen, das schon für mich bereitsteht. Wie es aussieht, hat er gar nicht mal besonders viel von meiner Portion gegessen, bevor ich gekommen bin.
    »Ehrlich gesagt, glaube ich, dass er mich vergessen hat«, sage ich und stochere auf meinem Teller herum. »Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal mit ihm geredet habe.«
    Ich sehe ihn an. Sein Lärm ist undeutlich, als wollte er etwas vor mir verbergen, aber das kenne ich ja.
    »Ich habe nur den Müll weggeräumt, wie immer«, sagt er und sieht mir beim Essen zu. »Und zugehört, worüber die Leute reden.«
    »Und worüber reden sie?«, frage ich, denn er will anscheinend erzählen.
    »Nun«, sagt er und in seinem Lärm kommt etwas Unangenehmes hoch.
    »Raus mit der Sprache.«
    Und dann sehe ich, weshalb sein Lärm so flau ist, denn es gibt etwas, was er mir eigentlich nicht sagen will, aber von dem er glaubt, es mir sagen zu müssen.
    »Das Haus der Heilung «, beginnt er. »Na, du weißt schon, welches.«
    »Was ist damit?« Ich bemühe mich vergebens, gelassen zu klingen.
    »Es wurde geschlossen. Es ist leer.«
    Ich höre auf zu essen. »Was meinst du mit ›leer‹?«
    »Na eben leer«, erwidert er vorsichtig, denn er weiß, dass das keine gute Nachricht ist. »Da gibt es niemanden mehr, nicht einmal Kranke. Alle sind weg.«
    »Weg?«, flüstere ich.
    Weg.
    Ich stehe auf, aber ich kann ja nirgends hingehen, meinen Teller mit dem Essen halte ich immer noch in der Hand.
    »Wohin sind sie gegangen? Was hat er mit den Frauen gemacht?«
    »Er hat gar nichts gemacht«, sagt Bürgermeister Ledger. »Deine Freundin ist geflohen. Sagen die Leute. Sie ist mit den anderen Frauen weggegangen, kurz bevor der Turm gesprengt wurde.« Er streicht sich übers Kinn. »Alle wurden festgenommen und eingesperrt, nur deine Freundin … ist entkommen.«
    Er sagt »entkommen«, aber er sagt es so, als meinte er etwas anderes damit. So als wäre er der Meinung, sie habe alles genau geplant.
    »Woher willst du das wissen?«, frage ich. »Woher willst du wissen, ob es stimmt, was man sich über sie erzählt?«
    Er zuckt die Schultern. »Vielleicht stimmt es ja nicht«, sagt er. »Aber ich habe es von einem der Soldaten erfahren, der das Haus der Heilung bewacht hat.«
    »Nein«, sage ich, aber ich weiß nicht, was ich denken soll. »Nein.«
    »Wie gut kennst du sie eigentlich?«, fragt Bürgermeister Ledger.
    »Halt die Klappe.«
    Ich habe das Gefühl, keine Luft mehr zu kriegen.
    Es ist eine gute Nachricht, dass sie weggelaufen ist.
    Ist das wirklich gut?
    Sie ist in Gefahr gewesen und jetzt …
    (Aber …)
    (Hat sie den Turm in die Luft gejagt?)
    (Warum hat sie mir nicht gesagt, was sie vorhat?)
    (Hat sie mich angelogen?)
    Ich sollte nicht daran denken, ich sollte nicht daran denken, aber ich muss …
    Sie hat es versprochen.
    Und jetzt ist sie fort.
    Sie hat mich verlassen.
    (Viola?)

21
    Das alte Bergwerk
    (VIOLA)
    Ich wache auf und höre Flügelschlag vor der Tür. Daran habe ich mich schon gewöhnt in den paar Tagen, in denen ich hier bin, es sind die Fledermäuse,

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