Das dunkle Schweigen: Denglers zweiter Fall (German Edition)
Die Sonne blendete ihn, und es dauerte einen Augenblick, bis sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten. Er lief zur berühmten Börse in der La Salle Street, ließ sich durch die Straßenschluchten treiben bis zum Buckingham Brunnen im Grant Park, den er aus dem Vorspann der Fernsehserie »Eine schrecklich nette Familie« mit Ed O'Neill alias Al Bundy kannte. Am Nachmittag besuchte er das Art Institute Of Chicago.
Er wunderte sich, dass man in dieser Stadt die besten europäischen Impressionisten sehen konnte, es aber kein Museum für schwarze Kultur gab.
Nach zwei Stunden Rundgang durch das Museum schmerzten seine Füße. Er verließ das Art Institute, lief noch einige Häuserblocks weiter und setzte sich dann in ein China-Restaurant. Als er sein Geld überprüfte, fand er den Zettel, den Mark ihm am Vorabend gegeben hatte.
Ecke Kensington und Kedzie Street, las er.
Der Delta Fish Market.
Seine Verabredung für den Abend.
* * *
Bleib cool, sagt er sich, um die aufkeimende Furcht zu unterdrücken. Wieder sieht er ausgebrannte Wohnungen und zerborstene Fensterscheiben in offensichtlich bewohnten Gebäudeblöcken. Die Straßen sind schlecht beleuchtet, es sind kaum Autos und nur wenige Fußgänger unterwegs. Über eine Stunde lang schaukelt er in einem der großen grünen Taxis durch das Getto von Chicagos West Side.
Allein kommst du hier nicht mehr raus, denkt er, und dass sich der Fahrer ständig in uralten, völlig zerfledderten Karten neu orientieren muss, stimmt ihn nicht gerade hoffnungsvoller.
Schließlich hält das Taxi an einer Kreuzung unter einer altersschwachen trüben Laterne. Der Fahrer macht eine unmissverständliche Handbewegung: Schnell bezahlen und schnell aussteigen. Dengler glaubt, auf der gegenüberliegenden Seite der Straße im Dunkeln mehrere Gruppen von Menschen zu sehen, die alle in eine bestimmte Richtung laufen. Freundlich bittet er den Fahrer, drei Minuten zu warten, und steigt aus, nachdem er ihm dreißig Dollar gegeben hat. Doch kaum ist Dengler ausgestiegen, gibt der Fahrer Gas, und der grüne Chevrolet verschwindet mit einem großen Satz in der Dunkelheit.
Hier finde ich nie wieder raus.
Er überquert langsam die Straße und betritt einen mit Glassplittern übersäten Parkplatz. Erst als er unmittelbar vor dem Schild steht, kann er die handgeschriebene Aufschrift »Delta Fish Market« lesen. Er sieht das Skelett einer ehemaligen Tankstelle, und da vorne steht tatsächlich – wie Mark es berichtet hat – ein alter Lastwagen, auf dessen Ladefläche ein Schlagzeug montiert ist.
Der Platz selbst ist völlig unbeleuchtet. Die einzigen Lichtschimmer kommen von den trüben Lichtern, die hin und wieder über der Straße hängen, und von den rückwärtigen Fenstern einer schlecht beleuchteten Bar. Aus diesem Grund kann Dengler auch die in kleinen Gruppen herumstehenden Schwarzen nicht erkennen, derer er erst gewahr wird, als er weiter auf die Platzmitte schlendert. Männer, Frauen und Kinder stehen dicht beieinander und unterhalten sich. Hin und wieder lacht ein Frau. Über dem Gelände der ehemaligen Tankstelle liegt eine entspannte Erwartung.
Trotzdem fühlt er sich fremd. Mittlerweile haben sich seine Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt, und Dengler registriert, er ist der einzige Weiße auf diesem Platz. Aber es gibt keinerlei Grund zur Sorge, beschwichtigt er sich: Die Atmosphäre ist friedfertig, und wenn es überhaupt etwas Störendes gibt, dann ist das sein weißes Gesicht, an dem sich aber offensichtlich niemand stört.
Dennoch bleibt er angespannt. Es ist die Angst vor dem Fremden, sagt er zu sich selbst, er findet sein Verhalten albern und bleibt trotzdem wachsam.
Er ist erleichtert, als er Mark entdeckt. Der junge Fotograf montiert ein Stativ neben der Lkw-Bühne, auf dem ein Blitzlicht befestigt ist. Er bittet Dengler, seine Kameratasche zu halten, damit er ein zweites Stativ auf der anderen Seite installieren kann.
Wenig später tritt ein dicker Mann auf die Ladebühne des Lkws. Mit einem Handzeichen bittet er um Aufmerksamkeit. Dann spricht er davon, dass die Stadtverwaltung diese Veranstaltung verbieten will.
»Vor drei Wochen gab es hier eine Schießerei«, erklärt Mark, während er Kabel und Anschlüsse prüft, »dumme jugendliche Gangboys.«
Niemand sei verletzt worden, aber nun könne es sein, dass die Polizei die Veranstaltung auflöse.
Der dicke Mann klettert umständlich von dem Lkw herunter. Sein riesiger Bauch ist ihm dabei so sehr im
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