Das dunkle Schweigen: Denglers zweiter Fall (German Edition)
herkomme. Ah, Germany, sagte er, als Dengler ihm geantwortet hatte. Er stellte sich mit seinem Vornamen vor. Er hieß Mark und sei Fotograf. Seit vielen Jahren fotografiere er die Bluesclubs in Chicago.
»Aber für diese Fotos interessiert sich niemand in der Stadt«, sagte er und lachte.
»Wann spielt Junior Wells?«, fragte Dengler und erzählte Mark, dass er hauptsächlich wegen Junior über den Ozean geflogen sei.
»Um elf Uhr«, sagte Mark, »vor elf spielt er nie.«
Hinter der Theke erschien eine hochgewachsene ältere schwarze Frau mit grau-schwarzen Haaren, die sie zu einer Art Dutt hochgebunden hatte. Sie trug eine Brille, hinter der zwei rabenschwarze Augen freundlich die Gäste musterten. Von der Frau ging etwas Geheimnisvolles aus, das Dengler sofort für sie einnahm.
»Theresa, hier ist ein Gast, der nur wegen deiner Kneipe den Atlantik überquert hat«, rief Mark ihr zu.
Theresa sah freundlich zu ihnen hinüber und kam langsam auf sie zu. Sie gab Georg Dengler die Hand und sagte: »Fühlen Sie sich wie zu Hause.« Dengler wollte etwas sagen, aber brachte nichts heraus. Er fühlte sich wie ein Pilger, der am Ende seiner Reise angelangt ist. Alle Verlorenheit wich von ihm.
Willi Kent spielte mittlerweile den Howlin'-Wolf-Song »The Red Rooster«, der einst unter dem Titel »Little Red Rooster« die Rolling Stones berühmt gemacht hatte. Dengler hatte lange Zeit geglaubt, dieses Lied, einer der ersten Nummer-Eins-Hits der Stones, sei eine Jagger-Richard-Komposition. Erst später hatte er auf den frühen Platten entdeckt, dass sie Songs von Dixon, Howlin' Wolf und Chuck Berry nachsangen. Er erinnerte sich noch an eine Ausgabe der Musikzeitschrift »Rolling Stone«, die er am Stuttgarter Bahnhof gekauft hatte, weil darin ein Interview mit Keith Richards abgedruckt war. Der Stones-Gitarrist erzählte von seiner ersten Reise nach Chicago: »Unser erster Trip nach Chicago gehörte natürlich auch dazu (zum ersten Aufenthalt in den USA), als wir in den Chess Studios aufnahmen und all die großen Bluesmänner trafen, deren Musik wir immer und immer wieder gehört hatten. Und dass sie solche Gentlemen waren. Natürlich haben wir sie verehrt. Aber es hätte ja sein können, dass sie sagen: ›Was glauben diese weißen Grünschnäbel eigentlich, dass sie einfach unsere Songs spielen?‹ Dazu kamen wir noch aus England. Aber sie nahmen uns freundlich auf, waren sehr großzügig und ermutigten uns sogar.«
Theresa brachte ihm ein zweites Bier. Er stieß mit Mark an. Der Amerikaner wollte wissen, ob er den Delta Fish Market kenne. Dengler verneinte.
Auch dort spiele man noch den richtigen Chicago Blues, sagte Mark. Mitten im Getto habe einer der Bewohner Heimweh gehabt nach dem Mississippi-Delta, das er vor vielen Jahren verlassen habe. Deshalb sei er häufig übers Wochenende hinuntergefahren und habe frischen Catfish mitgebracht, den seine Frau dann während der Woche gekocht oder gebraten habe. Hin und wieder habe er auch einige Fische im Auftrag der Nachbarn mit nach Chicago gebracht. Dies wurde zunächst ein Nebenverdienst, aber irgendwann gab er seinen Job als Truckfahrer in einem Stahlwerk auf und wurde Fischhändler. Heute fährt er einmal in der Woche mit einem großen Truck hinunter ins Delta, kauft Fische ein und verkauft sie während der Woche auf einem Parkplatz. Und am Wochenende spielen auf der Ladefläche seines Lkws Bluesbands, manchmal welche aus der Nachbarschaft, aber auch berühmte Musiker traten schon auf dem Lkw auf, Sunnyland Slim habe er dort gehört und Little Littlejohn auch.
»Komm doch morgen Abend dort hin«, sagte Mark und schrieb ihm die Adresse auf einen Zettel: Ecke Kensington und Kedzie Street.
Dengler sagte zu.
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48. Kurz nach elf betrat Junior Wells die Bühne
Kurz nach elf betrat Junior Wells die Bühne. Der kleine Mann am Klavier war außer sich.
»Laaaadies aaaaand Geeeeentlemen, the Goooooodfaaaather of Bluuuuuues, Miiiiiister Juuuuuunioooooor Weeeeeells!« Wieder und wieder schrie er diese Ankündigung ins Mikrophon.
Die Band spielte das Thema von Broke And Hungry.
Plock – ein Schlag auf die Snaredrum.
Die Band stoppte.
Junior stand mit geschlossenen Augen vor dem Mikro.
Er trug weiße, enge Jeans mit breitem Gürtel und eine weiße Jeansjacke, verziert mit silbernen Nieten in Mond- oder Sternenformen. Auf dem Kopf ein ebenfalls weißer Stetson. An den Fingern blitzten Brillanten. Wells war überraschend klein und schmal, und Dengler verstand
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