Das dunkle Schweigen: Denglers zweiter Fall (German Edition)
England wurde er wach. Benommen wankte er in die kleine Bordtoilette, wusch sich das Gesicht und putzte sich die Zähne.
In Paris stieg er um.
Drei Stunden später landete der Airbus der Air France in Stuttgart. Als er seinen Koffer durch den Ausgang zog, begrüßten ihn Olga und Martin Klein mit einer Flasche Veuve Clicquot. Olga umarmte ihn, und er spürte, wie sich ihre Brüste gegen seinen Oberkörper drückten. Martin entkorkte den Champagner und füllte die Gläser. Die Freunde tranken.
Sie fuhren mit der S-Bahn hinunter zum Bahnhof. Bereits in Vaihingen war die Flasche leer. Dengler erzählte ihnen von der Stadt, der Musik, dem Loop, den Wolkenkratzern, von Junior Wells, Theresa und Mark.
»Und die Frau ... Sag schon: Wer war die hübsche Frau, mit der du in Chicago zusammen warst?«, fragte Olga leise. Dengler war völlig perplex. Woher konnte sie wissen ...?
Verdammt, ich werde rot.
Olga sah ihn immer noch prüfend an. Ihre rechte Augenbraue hob sich. Dann lachte sie leise und streichelte seine Wange mit einer kurzen, zärtlichen Bewegung.
»Es geht dir gut?«
Dengler nickte.
»Und Christiane ist... überstanden?«
Einen kleinen Augenblick nur zögerte er, dann nickte er.
»Ja, Christiane ist überstanden.«
Olgas Gesicht wurde ernst.
»Das ist gut«, sagte sie leise und nahm seine Hand.
Die S-Bahn hielt am Hauptbahnhof, und sie stiegen aus. Zu dritt liefen sie die Königsstraße entlang. Martin Klein kaufte sich in einer Buchhandlung am Kleinen Königsplatz einen Kriminalroman.
»Ich muss ja die Konkurrenz studieren«, feixte er, »von dir bekomme ich ja keinen Stoff. Oder hast du einen neuen Fall aus Amerika mitgebracht?«
»Ja, habe ich«, sagte Dengler.
Als sie im Basta saßen, erzählte er ihnen, er werde den Vater von Junior Wells suchen, der seit 1945 in Deutschland als vermisst gilt.
Martin Klein verdrehte die Augen.
»Das ist auch nicht gerade der Stoff für einen Thriller«, sagte er.
Darauf stießen sie an.
* * *
In der Nacht träumte Dengler, durch die Straßenschluchten von Chicago zu fliegen. Unter ihm liefen die Menschen. Niemand nahm von ihm Notiz. Er flog zwischen den Wolkenkratzern hindurch, kreuzte den Oak Street Beach. Er sah die Sonnenanbeter, die Jogger, die Hundebesitzer, die Geschäftsleute, die die Schuhe ausgezogen und die Anzughosen hochgekrempelt hatten und durch das flache Wasser wateten. Er hielt Ausschau nach Marie-Louise, aber er konnte sie nirgends entdecken. Die Luft war warm, und ihn überwältigte ein berauschendes Glücksgefühl. Er breitete die Arme aus. Noch im Traum überlegte er, ob dieser glückliche Flug nur ein Traum sein könne. Aber die Wärme, die Bilder vom See und von den Menschen am Strand erschienen ihm so wirklich, dass er diesen Zweifel verwarf. Während er eine Brücke des Chicago River unterflog, sah er sich um und suchte die Fledermaus. Als habe sie nur darauf gewartet, war sie plötzlich da und flatterte neben ihm am Wasser entlang.
Mit einer leichten Enttäuschung erwachte er. Er schloss noch einmal die Augen, rief sich die Bilder des Traumes in Erinnerung und wusste, dass es heute ein guter Tag werden würde. Barfuß schlappte er zu dem CD-Spieler hinüber, und kurz danach füllte Junior Wells raue Stimme sein Zimmer.
You got to help me, Baby,
I can't do it all by myself
You know if you don't help me this mornin'
I'll have to find myself somebody else.
Er überlegte, was Junior in diesem Augenblick wohl tat. In Chicago war jetzt Nacht, Junior würde auf der Bühne stehen und vielleicht in diesem Moment diesen Song singen. Und Theresa würde eine Flasche Jim Beam für ihn auf die Theke stellen.
Georg Dengler legte sich bäuchlings auf den Boden und stemmte sich wieder auf. Einmal, zweimal, dreimal. Nach zwanzig Liegestützen verließen ihn die Kräfte. Seine Kondition hatte sich dramatisch verschlechtert.
Zu viel Jim Beam in letzter Zeit.
Er biss die Zähne zusammen, doch nach der vierzigsten blieb er keuchend auf dem Fußboden liegen. Er blickte Hilfe suchend zur Madonna.
Sei's drum, dachte er und ging ins Bad. Er frühstückte in der Espressobar.
Um neun Uhr kehrte er ins Büro zurück und rief die Pressestelle des US-Hauptquartiers für Europa in Stuttgart-Vaihingen an.
Gibt es eine Dienststelle, die sich um die vermissten Soldaten des Zweiten Weltkrieges kümmert, wollte er von der weiblichen Stimme wissen, die seinen Anruf entgegennahm.
Sie wusste es nicht. Wir rufen sie zurück, versprach sie. Dengler
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