Das dunkle Universum 04 - Evolution der Leere
Inigo.
Ozzie sah den Exmessias einen langen Moment prüfend an, versuchte dahinterzukommen, was in seinem Kopf vorging, und scheiterte kläglich. Schließlich gab er auf. »Na schön, aber fragt mich bitte nicht, wieso. Wie oft hab' ich meine Selbstzweifel gehabt, und ich hab' in meinem Leben so viel verbockt, dass ich mir die Größe leisten kann, sie von Zeit zu Zeit einzugestehen. Aber das hier? Was zum Teufel ist passiert, Mann? Du hattest 'ne Heilsbotschaft, die zugkräftig genug war, um Milliarden hinter dich zu bringen. Was musste geschehen, damit du ihnen allen den Rücken zukehrst? Edeard war ein ziemlicher Klugscheißer, sicher, aber am Ende ist doch alles gut für ihn ausgegangen. Das ist die moralische Botschaft, die alle Religionen rauspumpen, die übliche Masche. Mensch triumphiert über Widersacher. So ganz en passent noch eine Prise Leiden dazu, und die Leute fahren spitzenmäßig drauf ab. Und schon hat dein Mann gewonnen.«
»Nein, hat er nicht«, sagte Inigo traurig.
»Okay, ich hab' eben gelogen. Ich hab' gelegentlich mal 'nen kurzen Blick in deine Träume geworfen. Dieser letzte: Mann, der Waterwalker fährt zum Herzen auf in dem sicheren Wissen, dass das Querencia, das er zurücklässt, das beste aller möglichen Querencias ist. Dann, zum guten Schluss, gibt er allen die Möglichkeit, ihr eigenes Leben zu perfektionieren, so wie er es getan hat. Was für eine totale Selbstlosigkeit. Wäre er vor dreitausend Jahren hier bei uns rumgelaufen, wäre er ein wahrer Heiliger, oder Schlimmeres.«
»Perfektion«, sagte Inigo, »ist das, wonach wir alle streben, doch niemals das, was wir erreichen sollten. Es geht nichts über eine Utopie. Das Leben ist von Hause aus ein ständiges Ringen. Nehmen Sie das weg, und Sie nehmen jeden Grund weg, zu existieren.«
»Was ist passiert?«, fragte Corrie-Lyn flehentlich. »Bitte, Inigo, was hast du geträumt, nachdem Edeard das Geleit zum Herzen empfangen hat? Sag es uns einfach. Sag's mir. Ich glaube an dich. Das werde ich immer. Aber ich denke, ich verdiene es zu wissen.«
»Ich träumte von Perfektion.«
Inigos letzter Traum
Ich möchte fliegen.
Mein Geist erhebt sich über meinen Körper. So fliege ich dahin, die Arme ausgestreckt, und spüre den Wind in meinem Gesicht. Es ist angenehm. Ich öffne die Augen. Hundert Fuß unter mir ist der Great Major Canal. Dunkle Wasser, kühl und trostreich, füllen seinen langen Graben. Sonnenlicht glitzert auf seiner sich kräuselnden Oberfläche. Gondeln, Splitter aus Dunkelheit inmitten seiner anmutigen Schönheit, die sich allein für diese Stunde offenbart. Ein Lied steigt von den Gondolieri in die Lüfte empor, eine süße Melodie, die Erinnerungen wachruft an eine vergangene, schmerzlichere Zeit.
Ehre.
Wir ehren den großen Stammvater, unseren Waterwalker. Heute vor tausend Jahren stieg er auf zum Herzen, das uns alle ruft. So wollen wir, die wir auf dieser gesegneten Welt verweilen, uns an diesem uralten Ort versammeln und ihm unsere Achtung bezeugen.
Stolz.
Ich bin stolz, ein direkter Abkomme des Waterwalkers zu sein. Über niemand Geringeren als seine Zwillinge führte der Weg mich ins Dasein. Freude erfüllt mich ob ihrer Fülle von Leben. Die Enkelin ihres Enkels ist meine Mutter. Darob gilt all mein Trachten seinem Adel, seiner Kraft.
Meine Familie.
Meine Familie fliegt mit mir. Ganze sieben von uns gleiten über die uralten Häuser dieser ehrwürdigen Stadt. Lachend, uns ergötzend an dem Anblick solch herrlichen Wunders. Tief, tief unter uns schlummert das Bewusstsein der Stadt, schlummert dem Ende der Zeiten entgegen. Traurigkeit sickert aus seinen bedächtigen Träumen. Traurigkeit empfinden auch wir ob ihrer Ergebung in ein ihr nicht gebührendes Schicksal. Wir zollen ihrem Recht zu existieren Respekt. Wiewohl alle heute die Kraft dazu hätten, weckt niemand sie auf.
Unser Leben.
Wir leben unser Leben in einem Haus an den Hängen über dem Meer auf dem fernen Tolonan. Ein Eiland, das die Flottille des Waterwalkers einst vor langer Zeit entdeckte. Ein üppiger Ort, warm und schön. Das ganze Jahr über blühen die Bäume und erfüllen die Luft mit ihren Düften. Noch immer gedeihen Weingüter und Obstplantagen an den alten, terrassenförmigen Hängen und sorgen für Wohlstand. Nach wie vor folgen wir diesen alten Traditionen, im Angedenken an unsere Vorfahren und das mühevolle Leben, durch das sie sich gekämpft haben, um uns das Licht unserer Tage zu bringen. Die Früchte sind schmackhaft
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